Wissenschaft

Breitband-Gegengift für 19 Schlangen entwickelt

Das Gift einiger Schlangen kann tödlich sein, sofern man nicht das passende Gegengift erhält. Jetzt haben Mediziner ein Antiserum mit der bisher breitesten Wirkung entwickelt. Es neutralisiert die Toxine von 19 der weltweit tödlichsten Schlangen, darunter die Schwarze Mamba und die Königskobra. Das Antiserum könnte zudem gegen weitere Schlangen helfen. Möglich machte dies die ungewöhnliche Blutspende eines Mannes, der sich selbst hundertfach gegen Schlangengifte immunisiert hatte. Seine Antikörper machen gleich mehrere Giftstoffe auf einmal unwirksam, wie Mausversuche ergaben. Der daraus entwickelte Antikörper-Cocktail könnte Vorbild für weitere Breitband-Gegengifte sein und ebnet den Weg zu einem universellen Antiserum.

Jährlich werden Millionen Menschen von Schlangen gebissen, vor allem in ländlichen Gegenden von Entwicklungsländern. Für rund 100.000 Bissopfer endet das tödlich. Denn über 600 Schlangenarten injizieren beim Biss Giftmischungen aus bis zu 70 verschiedenen Toxinen, die die Nerven lähmen und zum Atemstillstand führen – nicht nur beim Menschen, sondern auch bei den eigentlichen Beutetieren der Schlangen. Um diese Neurotoxine zu neutralisieren, braucht es Antikörper, die spezifisch an die Proteine genau dieses Giftes binden und es neutralisieren. Um solche Gegengifte herzustellen, werden bislang Pferden oder Schafen die Toxine einzelner Schlangenarten verabreicht. Die Tiere bilden daraufhin Antikörper, die aus dem Blut entnommen und bei Bedarf Menschen injiziert werden können.

Dieser Prozess ist zwar wirksam, es können aber schwere unerwünschte Reaktionen auf die nicht-menschlichen Antikörper auftreten. Zudem liefert diese Methode immer nur das Gegengift für ein spezifisches Schlangengift. Oft wissen die Gebissenen aber nicht, welcher Schlangenart sie begegnet sind, was die Antiserum-Auswahl erheblich erschwert. Zudem sind nicht alle Gegengifte jederzeit und überall vorrätig. Mediziner suchen daher seit Langem nach einem Weg, um ein breit wirksames oder gar universelles Gegengift herzustellen, das mehrere Toxine auf einmal neutralisiert.

Grafik zeigt die Vorgehensweise der Mediziner
Aus den Antikörpern eines Spenders mit umfangreicher Gifterfahrung haben die Mediziner ein Breitband-Gegengift entwickelt. © Glanville et al.

Antikörper aus hyperimmunem Spender

Ein Team um Jacob Glanville von der Firma Centivax in South San Francisco hat nun ein solches Gegengift entwickelt, das auf den Antikörpern eines menschlichen Spenders beruht. Der Mann hatte sich 856-mal selbst immunisiert, indem er sich absichtlich verschiedene Schlangengifte injizierte. „Der Spender hatte über einen Zeitraum von fast 18 Jahren Hunderte von Bissen und Selbstimmunisierungen mit eskalierenden Dosen von 16 Arten sehr tödlicher Schlangen durchgeführt, die normalerweise ein Pferd töten würden“, berichtet Glanville. Die Mediziner haben nun getestet, welche Antikörper das Immunsystem des Mannes dadurch entwickelt hat und ob sich diese als Gegengift nutzen lassen.

Das Team isolierte dafür die Antikörper aus den B-Gedächtniszellen aus dem Blut des Spenders und testete, gegen welche Neurotoxine sie jeweils wirken. Dabei prüften sie die Inhaltsstoffe der Giftmischungen von 19 Schlangen aus der Familie der Elapiden, die zu den tödlichsten der Welt zählen. Diese Gruppe umfasst etwa die Hälfte aller giftigen Schlangenarten, darunter Mambas, Kobras, Taipane und Kraits. Die getesteten Schlangenarten leben in Nordamerika, Afrika, Asien, Australien und Ozeanien. Die aus dem Spender isolierten Antikörper verabreichten Glanville und seine Kollegen dann nacheinander Mäusen, die eines oder mehrere der 19 Schlangengifte erhalten hatten. Dabei kombinierten sie schrittweise mehrere Antikörper zu einem Cocktail, der möglichst viele Gifte auf einmal neutralisieren kann.

Antiserum-Cocktail wirkt gegen 19 Schlangengifte

Es stellte sich heraus, dass der Mann tatsächlich verschiedene Antikörper gebildet hatte, die jeweils gegen mehrere Schlangen-Neurotoxine gleichzeitig wirksam sind. Die Antikörper binden dabei an evolutionär konservierte Abschnitte der giftigen Proteine, wie Kristallanalysen und Strukturvergleiche ergaben. In Kombination dieser Antikörper entstand ein Antiserum-Cocktail, der im Mausversuch alle 19 getesteten Schlangengifte neutralisieren konnte. Bei 13 Schlangenarten bot das Antiserum einen vollständigen Schutz, bei den restlichen Arten einen teilweisen Schutz, wie das Team berichtet. Die in dem Gegenmittel enthaltene Mischung enthielt lediglich zwei menschliche Antikörper und das kleine Molekül Varespladib: Der erste Antikörper (LNX-D09) machte die Gifte von sechs der getesteten Schlangen unwirksam – darunter Kobras und Mambas –, der synthetische Wirkstoff Varespladib drei weitere Gifte – von Taipanen und der Tigerotter – und der zweite Antikörper (SNX-B03) die Gifte der übrigen Arten, darunter Kraits und Kobras.

Die Ergebnisse aus den Mausversuchen legen nahe, dass dieser dreiteilige Cocktail auch gegen viele andere Elapiden wirksam sein könnte, die in dieser Studie nicht getestet wurden. Die Forschenden um Glanville wollen ihren Gegengiftcocktail nun an Hunden testen, die in Australien wegen Schlangenbissen häufig in Tierkliniken gebracht werden. Anschließend soll das Breitband-Gegengift in klinischen Studien an Menschen erprobt werden. Dabei wollen sie die Wirkung des Cocktails weiter erhöhen und die Dosierung optimieren. Da die Antikörper menschlichen Ursprungs sind, erhoffen sich Glanville und seine Kollegen eine bessere Verträglichkeit als bei bisherigen Gegengiften.

Darüber hinaus wollen die Forschenden mit derselben Methodik wie bei den Elapiden künftig auch ein Gegengift entwickeln, das auf die andere große Giftschlangenfamilie, die Vipern, abzielt. „Das Endprodukt wäre möglicherweise ein einzelner Pan-Gegengift-Cocktail oder wir würden zwei herstellen – einen für die Elapiden und einen für die Vipern –, da es in einigen Gebieten der Welt nur die eine oder die andere Schlangengruppe gibt“, erklärt Seniorautor Peter Kwong von der Columbia University. Die Technik könnte demnach Vorbild für weitere Breitband-Gegengifte sein und ebnet den Weg zu einem universellen Antiserum.

Quelle: Jacob Glanville (Centivax) et al.; Cell, doi: 10.1016/j.cell.2025.03.050

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