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Wonneschauer

Als „Liebestier“ wurde sie von Guy de Maupassant bezeichnet, als „naiv und zugleich durchtrieben, perfide und liebenswert, aufreizend und spirituell, grauenvoll und charmant“ – die Heldin aus Antoine-François Prévosts „Histoire du Chevalier des Grieux et de Manon Lescaut“. Diese von Goethe bewunderte Geschichte einer Amour fou aus der Zeit feudaler Vergnügungssucht und finanziellen Glücksrittertums hat Jules Massenet in einer fünfaktigen Opéra comique aufleben lassen: „Manon“ – geschrieben für ein Publikum, das in der betörenden wie verruchten Kindfrau das Bild seiner durch moralische Konventionen unterdrückten oder verdrängten Wünsche fand.

„Es ist toll, dass die Titelfigur eine moderne junge Frau von heute ist“, sagt David Bösch, dessen Inszenierung an der Hamburger Staatsoper am Sonntag per Livestream zu sehen war (ab 27. Januar unter www.staatsoper-hamburg.de). Doch vom Lebens- und Todeslauf dieses Liebestiers durch ein „unkontrolliertes, leidenschaftliches, sich verbrennendes, aber voll ausgekostetes Leben“ (Bösch) ist in der Aufführung nicht einmal etwas zu ahnen. Sie verlässt sich auf die Routine einer Aktualisierung, die ihr Ziel, Gleichzeitigkeit herzustellen, verfehlt. Die musikalischen Chiffren der Oper – Gavotte, Menuett und nostalgische Melodien, die Massenet aus der douce époque des Rokokos für das Fin de Siècle neu beschworen hat – lassen sich schwerlich aktualisieren. Wenn Manon, dies nur pars pro toto, bei ihrer Gavotte auf einem Spieltisch ihre Hüften winden muss, werden ihre Verführungskraft und Schamlosigkeit, ihre betörenden Reize und ihre Perfidie zur vulgären und vernutzten Pop-Pose.

Dabei stand dem Regisseur mit der Sopranistin Elsa Dreisig, Jahrgang 1991, Tochter der dänischen Sopranistin Inge Dreisig und des französischen Dirigenten und Sängers Gilles Ramade, für die Protagonistin eine exzeptionelle junge Sängerin zur Verfügung. Statt eines Lamentos über die szenische Tristesse ist hier also eine Hommage an die eindringliche Darstellerin wie stilistisch differenzierte Sopranistin viel angebrachter. Sie hat die Manon schon vor zwei Jahren in Zürich gesungen. Im letzten Sommer ist sie bei dem wundervollen Salzburger „Così fan tutte“-Improvviso (Regie: Christof Loy) in den Arien der Fiordiligi höchsten Anforderungen an den verzierten Espressivo-Gesang – etwa den Monster-Sprüngen wie den Basslagen-Passagen in der Felsenarie und auch den intrikaten Triolen im Rondo „Per pietà“ – weitestgehend gerecht geworden. Gerade dank ihrer technischen Qualitäten hatte Elsa Dreisig, ausgebildet am Pariser Conservatoire und an der Leipziger Hochschule für Musik, 2015 den Wettbewerb „Neue Stimmen“ gewonnen. Die Jury bewunderte, dass sie nach den Anstrengungen der beiden ersten Runden – mit jeweils zwei schwierigen Arien von Händel, Rossini, Bizet und Bernstein – im Finale die leichte Ermüdung technisch souverän überwand.

Ihre Stimme ist ein lyrischer Sopran mit einem silbrigen Timbre – mit weicher, seidiger Textur und einem kristallinen Klang. Die tiefe Lage hat keine „brustige“ Fülle, klingt aber nicht überhaucht (wie in der „Così“-Übertragung aus Salzburg zu hören war). Die hohe Lage reicht, wie auf ihrer ersten Opern-CD zu hören, sicher und glockenhaft resonierend bis zum H; das hohe D in der Arie von Massenets „Thaïs“, das sie auf der CD singt, mag im Theater eine Risikonote sein. Die Register sind sauber verbunden und verblendet. Was den timbralen Reiz angeht, so hat er keine italienische Prima-vista-Sinnlichkeit, er liegt in einem zarten, inneren Leuchten: „Nulle voix n’a plus de doux accents“, schreibt der Chevalier des Grieux an seinen Vater: „Keine Stimme hat süßere Akzente.“ Manon selbst sagt über sich, sie sei ganz und gar „faiblesse et fragilité“.

Elsa Dreisigs Manon hat das Gespür und die fein abgestufte Pastellpalette für die flüsternden Melodien Massenets, die in Form zart-sinnlicher musikalischer Prosa gesprochen werden. Dabei wechselt Massenet ständig die Tonlage, die vokale Technik und die Ausdrucksgesten. Es ist die größte nur denkbare Herausforderung an den Vortrag, etwa in „Voyons, Manon“ den wechselnden Stimmungen, Wünschen und Sehnsüchten Ausdruck zu verleihen. Dreisigs Aussprache ist so klar, sauber und distinkt, dass nie eine Unklarheit betreffs des ausgesprochenen Wortes entsteht. Zugleich ist sie ausdrucksvoll, weil sie das durch das Wort ausgedrückte Gefühl zum Ausdruck bringen muss.

Ein herzbewegendes Beispiel aus dem zweiten Akt: Manon schickt ihren Geliebten mit einem Brief, den er über ihre Schönheit geschrieben hat, zur Post, um in seiner Abwesenheit zu entfliehen. Unmittelbar zuvor nimmt sie in einem wie in einen Trauerrand gefassten Arioso – „Adieu, petite table“ – Abschied. Die genauen Anweisungen für Akzente, Schattierungen, Atmung, Ausdruck oder Ligaturen zwischen bestimmten Silben – jeweils den unterschiedlichsten Formen des Vokalsatzes zugeordnet – befolgt Elsa Dreisig, weil sie das Singen als Verbindung von Klang und Gedanke versteht.

Wie aber steht es um die „wilden, nicht enden wollenden Schauer der Leidenschaft und glühender Liebe“, die Claude Debussy in den Opern Massenets entdeckte? Die Manon von Elsa Dreisig überlässt sich nicht der Exaltation, wenn sie des Grieux, der vor ihr geflohen ist, in der Kirche verführt. Sie ist, wieder mit Maupassant, die Eva des verlorenen Paradieses, die naive und zugleich listenreiche Verführerin.

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