Nachrichten

#25 Jahre Kulturzeit auf 3sat

25 Jahre Kulturzeit auf 3sat

Alles hat seine Zeit. Die der Kultur beginnt um 19.20 Uhr und endet, wenn (im Ersten) die Weltpolitik beginnt, und das seit 25 Jahren. Es sei denn, es ist Wochenende, da ruht die Kultur sich aus. Wer so jung ist wie das bravouröse Magazin „Kulturzeit“, pfeift wohl eher aufs lineare Fernsehen, findet die Inhalte des gutinformierten Bildschirmfeuilletons des Gemeinschaftssenders 3Sat aber natürlich auch im Netz. Die Beiträge stammen von den an 3sat beteiligten Sendern ARD, ZDF, ORF und dem Schweizer Fernsehen (SRF); einige werden exklusiv für den wackeren Kultursender hergestellt.

Die Quoten sind niedrig, aber stabil, in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren sogar leicht gestiegen auf jetzt etwa 190000 Zuschauer, zu denen noch etwa 6000 in der Schweiz und 15000 in Österreich kommen. Ganz exakt lässt sich das gar nicht messen. Doch weil der Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nur selten so klar erfüllt wird wie hier, spielt die Quote im Grunde keine Rolle. Die „Kulturzeit“ hat sich neben den älteren, schmählich spät im Wochentakt ausgestrahlten Kulturmagazinen „ttt – titel thesen temperamente“ (ARD) und „Aspekte“ (ZDF) als eines der drei wichtigen deutschsprachigen Fernsehformate für die Kultur in ihrer ganzen, auch politischen Breite etabliert. Dazu muss ihr gratuliert werden.

Anarchisch intellektuell ist keines der genannten Formate, aber alle haben sogenannte Verjüngungen hinter sich, ästhetisch, thematisch und stilistisch. Auf Hochkultur abonniert war man schon lange nicht mehr. Aber auch die Präsentation ist zuletzt leichter geworden; es soll offenbar niemand abgeschreckt werden. Die „Kulturzeit“ ist zudem weiblich dominiert. Seit den letzten Neubesetzungen im Jahr 2017 leiten vier Frauen und ein Mann die Sendung: Vivian Perkovic (ZDF), Cécile Schortmann (ARD), Peter Schneeberger (ORF), Nina Mavis Brunner (SRF) und Ariane Binder (ARD/Vertretung). Nur Schortmann war schon vor 2017 dabei.

Der schräge Blick auf die Dinge, die Zeit und die Kultur

So niedrigschwellig sich die Moderationen bei der „Kulturzeit“ geben – der Jesus-Mythos wird flapsig heruntergebrochen: „dann stirbt er, steht wieder auf und irgendwann soll er die Welt retten und daran glauben alle“ –, so brav wirken sie. Die Moderatoren stehen mit ihren Kärtchen lächelnd vor der Kamera und fürchten keine Floskel: Fassbinder habe „ein Leben auf der Überholspur“ gelebt, erfahren wir, „ganz Italien strotzt von schützenswerten Denkmälern“, Lang Lang ist ein „Tastengott“, Jimi Hendrix war „der Gott an der E-Gitarre“ und Ruth Bader Ginsburg „eine echte Legende“. Die Interviews mit Künstlern oder Wissenschaftlern, einzige Auflockerung der starren Moderation-Beitrag-Dramaturgie, wirken selten kritisch, dafür gern weitschweifig.

Das fällt auf, weil die „Kulturzeit“ anders gestartet ist. Es wirkte fast ein wenig aufgesetzt, wie unkonventionell man 1995 sein wollte, als Gert Scobel gleich in der ersten Sendung plötzlich erdnusskauend und schalenkrümelnd – wegen „Peanuts“, dem von Hilmar Kopper geprägten „Unwort des Jahres 1994“ – von unten durch einen Glastisch hindurch gefilmt wurde, während er ziemlich überdreht („Ihre Frau geht gerne in die Oper, eigentlich ist Ihnen das ganz egal, aber zufällig sind Sie natürlich Großbanker“) einen kritischen Beitrag zum Kultursponsoring durch die Deutsche Bank ankündigte. Der schräge Blick auf die Dinge, die Zeit und die Kultur, das war der Anspruch des Magazins, gegen den das Schlachtschiff „Aspekte“ so alt aussah, wie es war. Nach gelungener Neuausrichtung segelt die ZDF-Sendung heute freilich wieder vornweg.

Die Geschichte der „Kulturzeit“ lässt sich gut anhand ihrer Insignien erzählen. Die Sendung startete in einem punkig ruinenartigen Studio mit Garagenflair. Neonröhren hingen auf Halbmast, das Logo sah aus wie mit dem Schneidbrenner entworfen. Nach Scobels Ausstieg gab es 2008 einen ersten Relaunch. Das Logo wurde ordentlicher, das Studio organischer – höhlenartig, mit betrunkenen Formen. Neun Jahre später wurde abermals umgebaut, und zwar nach einer Neunziger-Jahre-Idee von dekonstruktiver Ästhetik: alles schief zusammenschrauben und schick beleuchten. Seither wirkt die Kulisse auf nichtssagende Weise modern, austauschbar mit jedem zweiten Regionalfenster-Studio.

Die Reputation der „Kulturzeit“ beruhte darauf, dass man nicht nur abbilden, sondern mitgestalten wollte, etwa durch großartige, über aktuelle Anlässe hinausreichende Gespräche zur „Odyssee der Moderne“ oder über den „Mythos 68“. Scobels Diskussion mit einem seltsam entrückten, die Kritische Theorie wie den Journalismus mit Verachtung strafenden Peter Sloterdijk nach dessen Elmauer „Menschenpark“-Rede von 1999 ist legendär. Gute Gespräche gibt es auch heute, aber Aufsehen erregt man eher mit Spielereien wie zu Anfang dieses Jahres, als in einer Sendung über Künstliche Intelligenz (KI) neben Cécile Schortmann der niedliche, aber schlichte (Pflege-)Roboter Pepper blinkte. „Die ,Kulturzeit‘ eigenständig zu moderieren, würde mich noch überfordern“, sagte der mit entsprechenden Textbausteinen gefütterte Pepper. Da könnte man anderer Meinung sein, und das ist nicht als Lob für die KI gemeint. Alles hat seine Zeit. Jetzt scheint sie (wieder) reif für mehr diskursive Härte, Experimentierfreude und Widerspruch in der Kulturarena. Damit wir auch in fünfundzwanzig Jahren über die „Kulturzeit“ werden sagen können: Wie gut, dass es sie gibt.

Die Jubiläumssendung Kulturzeit extra: Zeitenwende, 19.20 Uhr, bei 3sat.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichtenkategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!