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#China, Japan und die Macht der Sprache

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China, Japan und die Macht der Sprache

Wenn die Kommunistische Partei Chinas diesen Juli hundert Jahre alt wird, dürfte ein Umstand ihrer Gründung bei den Feierlichkeiten wohl keine große Rolle spielen: Die ersten Mitglieder lernten den Marxismus nicht etwa über die Sowjetunion, geschweige denn Deutschland kennen, sondern ausgerechnet über Japan, das Land, dessen Eroberungsfeldzug in China später zum Vorspiel des Bürgerkriegs werden sollte, den die Volksbefreiungsarmee gewann. Erst nach der russischen Oktoberrevolution hatten sich chinesische Intellektuelle für den Kommunismus zu interessieren begonnen, der ihnen nun als eine reale Macht- und Modernisierungsoption für das Land erschien. Doch der Zugang zu dieser fremdartigen Begriffs- und Kategorienwelt erwies sich als schwierig, nicht nur wegen des Mangels an deutschkundigen Übersetzern.

Der Ort der Avantgarde war für große Teile der reformwilligen jungen Intelligenzija Chinas seit Ende des 19. Jahrhunderts Japan, wo eine schon viel früher einsetzende Öffnung zum Westen eine ungleich größere Kompetenz im Umgang mit europäischen Texten und Gedanken bewirkt hatte. Sozialistische Ideen waren hier schon seit dem Ersten Weltkrieg im Aufwind, bevor sie durch in Japan studierende Aktivisten nach China gelangten. So waren dreizehn der achtzehn Bücher, die zwischen 1919 und 1921 in China über den Marxismus erschienen, Übersetzungen aus dem Japanischen: darunter das Kommunistische Manifest, „Karl Marx’ ökonomische Lehren“ von Karl Kautsky und Wilhelm Liebknechts Gedenkschrift über Karl Marx. Ironischerweise war es sechzig Jahre später dann ebenfalls Japan, von dem die Kommunistische Partei dessen kapitalistisches Erfolgsmodell übernahm, befördert nicht zuletzt dadurch, dass Japan auch der größte Geldgeber Chinas in dieser Zeit war. Beide westliche Systeme, die China zu seiner jetzigen Machtstellung verholfen haben, der Kommunismus wie der Kapitalismus, verdankt das Land also der Vermittlung durch das als ewigen Antagonisten hingestellte Japan.

Dies ist der jüngste paradoxe Umschwung im an Paradoxen übervollen Verhältnis der beiden Länder, das der Hamburger Sinologe Kai Vogelsang in einem außergewöhnlich gedankenreichen, zum Weiterdenken anregenden Buch dargestellt hat. Der Autor bringt es fertig, aus den Binnenbeziehungen einer Weltgegend, die für große Teile der deutschen Öffentlichkeit immer noch sehr fernliegt, eine Reflexion darüber zu machen, wie der Austausch von Begriffen ganze Kulturen und Staaten begründen kann. „China und Japan“, das ist nicht nur die Geschichte einer zwischen Hinwendung und Abstoßung ständig hin- und herpendelnden geopolitischen Beziehung. Das ist auch ein besonders prägnantes Beispiel dafür, wie erst die Wechselbeziehung zur Außenwelt immer wieder neu den Boden aus Vorstellungen und Kategorien erzeugt, auf dem Gesellschaften ihr „Eigenes“ gründen.

Die Aneignung der westlichen Moderne

Noch viel grundsätzlicher als auf die Anverwandlung des Kommunismus traf das auf die Aneignung der westlichen Moderne im Allgemeinen zu, die die chinesische Sprache Ende des neunzehnten, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mittels japanischer Begriffe vollzog. Chinesischen Lesern kamen die europäischen Kategorien in ihrer japanischen Gestalt nicht ganz so fremd vor, da sie dort schon mit Hilfe chinesischer Zeichen ausgedrückt waren. So wurde die chinesische Schriftsprache innerhalb weniger Jahre durch die Lehnwörter aus dem Japanischen um das ganze Vokabular der europäischen Neuzeit erweitert, um Begriffe wie Kultur, Gesellschaft, Fortschritt, Evolution, Religion, Philosophie, Geschichte, Nation und Demokratie. Vogelsang stellt das als einen epochalen Vorgang dar, da diese „Zukunftsbegriffe“ einen Erwartungshorizont geöffnet hätten, dem die geschichtliche Wirklichkeit dann nach und nach folgte.

Vorausgegangen war die radikale Selbstneuerschaffung Japans seit 1868. In der sogenannten Meiji-Reform passte das Land innerhalb kürzester Zeit seine Kategorien, Institutionen und äußeren Erscheinungsformen dem Westen an. Nicht nur ein zentralisierter Staat und eine Nation wurden geschaffen, sondern auch alles, was dazugehört: Zeitungen, Polizei, Banken, Industrie, Landvermessung, allgemeine Schulpflicht, Eisenbahn, Telegraphenverbindung, sogar westliche Anzüge. Ziel war „ein reicher Staat und eine starke Armee“, denn der unmittelbare Antrieb für die Reformen war ein militärischer, die Bedrohung durch die europäischen Armeen, denen das große chinesische Reich hilflos gegenüberstand.

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