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#Vom Überflieger zum Sorgenkind

Vom Überflieger zum Sorgenkind

Die Stimme von Uwe Harter klingt ein wenig ratlos. „Zurzeit geht es vor allem darum, die Angst aus den Köpfen zu bekommen: Einige Kollegen stehen gerade finanziell vor existentiellen Fragen“, beschreibt der Pilot die aktuelle Gemütslage seiner Kollegen.

Ulrich Friese

Der erfahrene Lufthanseat hat den Niedergang seiner Zunft selbst erlebt. Die internationale Luftfahrt, bis Ende 2019 noch eine florierende Branche, ist im Zuge von Corona in eine tiefe Krise geraten. Seit Ausbruch der Pandemie ist für das Gros der Fluggesellschaft nicht nur das Geschäft mit den Touristen weggebrochen. Auch lukrative Firmenkunden verzichten immer öfter auf Dienstreisen und gehen womöglich dauerhaft als Stammkunden verloren. Die Folge: Airlines verkleinern ihre Flotten und sparen beim fliegenden Personal, um Kosten zu senken.

„Wir haben quasi aus voller Fahrt auf null gebremst“, sagt Harter. Dabei steht allein bei der Deutschen Lufthansa der Abbau von 27.000 der 128.000 Stellen zur Debatte. Hier zählten die mehr als 10.000 Piloten, die neben Lufthansa auch für die Tochtergesellschaften Swiss, AUA oder Eurowings tätig sind, über Jahre zu den Spitzenverdienern im Konzern. Doch seit dem kürzlich vereinbarten Krisenpakt mit der Lufthansa-Führung sind zumindest die 5000 Flugzeugführer der Kerngesellschaft bis Ende März 2022 vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt.

Sorgenkind statt Traumberuf

Fest steht: Der Nimbus eines Traumberufes, der neben hohem Gehalt und großzügigen Konditionen auch flexible Arbeitszeiten bietet, ging den Piloten mit Ausbruch der Krise verloren. Sie gelten längst als Sorgenkinder der weltläufigen Branche. In den vergangenen Jahren habe man sich um seine Zukunftsperspektiven wenig Gedanken gemacht, bestätigt Harter. „Eigentlich konnte man immer sagen: Irgendwo kommt man unter.“ Inzwischen heißt es: Was machen Piloten, wenn sie keine Piloten mehr sein können?

Harter lacht kurz auf bei der Frage, um dann zu resümieren: „Das fällt auf jeden Einzelnen zurück.“ Der Lufthanseat ist seit 27 Jahren als Verkehrspilot tätig. Zuletzt war er Kapitän auf dem Airbus A380, jenem prestigeträchtigen Riesenjet, der wegen hohen Spritverbrauchs und geringer Auslastung als Kostgänger der Lufthansa-Flotte verrufen ist und in Zeiten der eisernen Spardisziplin vor der Ausmusterung steht.

Nachdem im Frühjahr 2020 sechs der einst 14 vierstrahligen Flieger stillgelegt worden waren, beschloss der Konzern im September, auch die verbliebenen Passagierjets einzumotten und nur im Fall einer unerwartet schnellen Markterholung wieder abheben zu lassen. Für Harter bedeutete die Hiobsbotschaft, auf kleinere, zweistrahlige Flugzeugtypen umzuschulen oder sich beruflich neu zu orientieren.

Auf die Kompetenzen besinnen

Schon vor Wochen hat sich der Kapitän intensiver mit einer zweiten Karriere im Coaching beschäftigt, um für einen möglichen Stellenabbau gerüstet zu sein. Als Vertreter der Branchengewerkschaft Vereinigung Cockpit und interner Ausbilder halte er ohnehin regelmäßig Vorträge. Dabei habe er berufliche Erfahrungen erworben, die ihm als Coach nutzen könnten: „Als Pilot ist man hochspezialisiert“, sagt er, „aber neben den technischen Fähigkeiten gehört auch Führungskompetenz dazu.“

In der Schweiz wecken solche Talente durchaus Interesse. Gemeinsam mit dem Personalverband der Schweizer Piloten Aeropers rief der Verband Schweizer Lokomotivführer und Anwärter (VSLF) kürzlich dazu auf, Piloten als Lokführer anzuwerben. „Die Interaktion zwischen Mensch und Maschine und die über allem stehende Sicherheit des Transportes der Kunden von A nach B sind Beispiele für die Gemeinsamkeiten dieser beiden anspruchsvollen Berufe“, lautete die Botschaft. Dabei arbeite die Swiss daran, Kontakte zu verschiedenen Bahnunternehmen herzustellen, teilte Aeropers weiter mit.


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Ist der Wechsel vom Cockpit auf die Schiene realistisch? „Mich würde es schon mal reizen, einen ICE zu fahren“, sagt Harter. Schließlich gebe es auch in Deutschland Versuche, Kollegen für eine Karriere als Lokführer zu begeistern. Doch die Skepsis gegenüber solchen „Quereinsteigern“ ist groß. So wurde unlängst ein Bewerber aus der fliegenden Zunft bei der Deutschen Bahn mit dem Argument abgelehnt, er sei „überqualifiziert“ und nutze die Stelle eines Zugführers als „Warteschleife“ für einen höher dotierten Posten. Solchen Einwänden eines Arbeitgebers will das Schweizer Modell begegnen. Denn laut Aeropers ist daran gedacht, dass nach einer gewissen Einarbeitungszeit eine (wechselseitige) Teilzeitbeschäftigung zwischen Piloten und Zugführern möglich ist. Unabhängig davon dürfte das Gehaltsgefälle zwischen beiden Berufen eine Hürde sein.

Finanzieller Nachteil

Während Piloten nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit 2019 noch im Schnitt mit einem Bruttomonatsgehalt von 6150 Euro rechnen konnten, liegt der entsprechende Wert der Kollegen auf der Schiene nur bei 3680 Euro. Für Harter könnte sich der finanzielle Nachteil mittelfristig relativieren. „Irgendwann haben wir keine Alternative mehr zu schlechter bezahlten Jobs.“

Was gerade für junge Kollegen den Druck erhöht, rasch eine neue Stelle zu finden: Die Kosten für die Ausbildung zum Piloten sind mit bis zu 90.000 Euro sehr hoch und müssen von Berufseinsteigern meist selbst finanziert werden. Entsprechend groß ist also der Zwang, diese Schulden über ein festes Einkommen auf längere Zeit abzutragen.

„Die kommenden zwei Jahre würde ich definitiv nicht mit einer Ausbildung zum Piloten starten und beobachten, wie sich der Markt entwickelt“, rät daher Kapitän Harter. Wer diesen langen Atem nicht hat, sollte sich mit Studium oder Lehre zumindest einen Plan B für ein zweites Standbein zurechtlegen.

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