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#Das Grassi-Museum für Völkerkunde in Leipzig will sich neu erfinden

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Das Grassi-Museum für Völkerkunde schließt nach zwei Jahren seinen ersten Umgestaltungsprozess ab. „Reinventing Grassi“ zeigt, wohin die Reise weiter gehen soll: weg vom Objekt, hin zum Kontext.

Es ist drei Tage vor Jahresschluss, und mitten in der Leipziger Museums­abteilung zu Südostasien steht ein Schild, das hier auch schon am Jahresbeginn zu finden war: „Letzte Chance! Dieser Bereich der alten Dauerausstellung wird ab 2023 überarbeitet.“ Nun ja, viel Zeit bleibt dafür nicht mehr, aber niemand soll sagen, dass man im Grassi-Museum für Völkerkunde innova­tionsfeindlich wäre. Oder zögerlich. Seit die in Dresden ansässige Direktorin Léontine Meijer-van Mensch (das Leipziger Museum gehört zum Verbund der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden) die Geschicke des Hauses lenkt, ist ein Umgestaltungsprozess namens „Reinventing Grassi“ gestartet worden, dessen vierte und vorerst letzte Stufe nun gezündet worden ist.

Aber keine Sorge: Der jahresendzeitlich schlummernde Südostasienbereich wird auch noch erweckt: „Denn RE­INVENTING heißt“, so belehrt ein anderes Schild die offenbar als nicht besonders fremdsprachen­sicher oder diskurserfahren eingeschätzte Besucherschar, „aus dem Spannungsverhältnis zwischen Altem und Neuem Inspirationen für den weiteren Umbau zu schöpfen.“ Heißt konkret: Das Alte wird irgendwann, wenn auch wohl nicht mehr 2023, ganz weg sein. Spannungsverhältnisse sind irgendwann ja auch anstrengend. Das müsste man aushalten wollen.

Will man aber nicht in Leipzig, wo die nach mittlerweile anderthalb bis zwei Jahrzehnte in der Tat angegrauten Dauerausstellungsbereiche komplett durch neugestaltete ersetzt werden sollen, die dem musealen Zeitgeist von Postkolonialismus und Diversität entsprechen. Und im Falle ethnographischer Museen auch noch dem der allgegenwärtigen Restitution, bei dem das Grassi-Museum für Völkerkunde eine durchaus beachtliche Vorreiterrolle einnimmt: Die Dokumentationen der Zeremonien, zu denen Vertreter von ehedem unterjochten und ausgeplünderten Ethnien nach Sachsen gekommen sind, um Gebeine oder Artefakte ihrer Vor­fahren abzuholen, sind berührend und aller Ehren wert.

Restituieren, ohne Lücken zu reißen

Manchmal, so lernt man, gehen die Museumsmitarbeiter auch selbst auf Restitutionsreisen. Birgit Scheps-Bretschneider, Kustodin für Australien und Ozeanien, hat etwa kürzlich der südaustralischen Volksgruppe der Kaurna vier Objekte zurückgegeben, die Missionare 1842 von dort nach Sachsen geschickt hatten. Eigent­lich sollte die Übergabe im Rahmen einer Reise von Außenministerin Baerbock vollzogen werden, doch deren Flugzeug streikte in Abu Dhabi, worauf die Leipziger Emissärin kurzentschlossen mit den Kisten einen Linienflug nach Australien nahm. „Ich weiß, dass wir eine ganze Menge Dinge besitzen, die wir zurückgeben können, ohne dass es Lücken reißt“, hat Scheps-Bretschneider nach ihrer Rückkehr festgestellt.

Zumal manche indigene Gemeinschaft, wie wir im Museum erfahren, „es bislang schätzt“, mit Objekten ihrer Kultur hier weiterhin vertreten zu sein. Bislang. Wenn sie dann später ihre Schätze doch eher daheim schätzen sollte, wird es mehr Konzepte wie die in Leipzig jetzt zu findende Trias aus „Care Room“, „Prep Room“ und „Raum der Erinnerung“ brauchen, in denen das Museum vorführt, wie seine Bestände gepflegt, beforscht und rückgeführt werden. Die Zahl der ­darin zu sehenden alten ethnographischer Objekte kann man an den Fingern zweier Hände abzählen. Dafür ist die Zahl der Erläuterungen, Installationen und Fotodokumentationen Legion. Reinventing bedeutet in Leipzig auch Dematerialisierung. Zumindest betreffs dessen, was außereuropäischen Ursprungs ist. Dagegen wächst all das mächtig an, was unser gegenwärtiger Blick auf unsere früheren Blicke hervorbringt – Nabelschau, die sich aber nicht eurozentrisch fühlt.

Und so ist der jüngste Zuwachs im Zuge von Stufe IV bezeichnend: ein Raum zum Thema „Völkerfreundschaften – Ethnographie in Leipzig und der DDR“, dessen ausführlichste Präsentation der „Indianistik“ gilt, ­jener in Privatinitiative gepflegten ­Begeisterung für nordamerikanische Ureinwohner, die in Ostdeutschland besonders stark war. Da steht etwa die von der „IG Mandanindianer Taucha“ in achtjähriger Handarbeit gefertigte Replik einer Zeltplane von 1886, die zwar zum Bestand des Grassi-Mu­seums gehört, aber nicht mehr ­gezeigt wird – noch aus konservatorischen Gründen, bald womöglich aus restitutionellen. Leipzig richtet den ethnographischen Blick konsequent auf sich selbst. Das wird reichen, um das Haus zu füllen. Zumin­dest mit ­Objekten.

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