#CO2-Kompensation aus Waldschutzprojekten überschätzt
Inhaltsverzeichnis
Als freiwilligen Ausgleich für CO2-Emissionen können Unternehmen und Privatpersonen durch den Kauf von Zertifikaten tropische Wälder vor der Abholzung bewahren. Viele der auf diese Weise angeblichen geschützten Wälder wären allerdings auch ohne die Zertifikate wahrscheinlich nicht abgeholzt worden, zeigt nun eine Studie. Demnach werden die scheinbar vermiedenen Emissionen systematisch überschätzt. Nur etwa sechs Prozent der gehandelten Zertifikate haben dem Autorenteam zufolge tatsächlich zur Vermeidung von CO2-Emissionen beigetragen. Das Team fordert daher strengere Richtlinien und Kontrollen für die Zertifizierung von Waldschutzprojekten zum Emissionsausgleich.
Die tropischen Regenwälder speichern große Mengen CO2, die bei ihrer Abholzung freigesetzt würden. Das Programm REDD+ (Reducing Emissions from Deforestation and forest Degradation in developing countries), das auf Initiative der Vereinten Nationen ins Leben gerufen wurde, soll deshalb Waldflächen vor der Abholzung bewahren, indem es das andernfalls freigesetzte CO2 in handelbare Gutschriften umrechnet. Die Zertifikate, die Unternehmen und Privatpersonen als Ausgleich für eigene CO2-Emissionen kaufen können, stellen eine freiwillige Ergänzung zum offiziellen europäischen Emissionshandel dar, bei dem Firmen bestimmter Branchen verpflichtet sind, Zertifikate für ihre Emissionen zu erwerben. Viele Unternehmen nutzen die freiwilligen CO2-Zertifikate aus REDD+-Projekten, um mit Klimaneutralität zu werben.
Historische Trends statt realer Vergleiche
Das Problem der Zertifikate: Um zu bestimmen, wie viel CO2 tatsächlich durch den Schutz einer bestimmten Waldfläche eingespart wird, müssen Prognosen dazu herangezogen werden, wie das Schicksal des entsprechenden Waldstücks ohne das Projekt aussähe. Ein Team um Thales West von der Universität Amsterdam in den Niederlanden kommt nun in einer Studie zu dem Ergebnis, dass die meisten dieser Prognosen von unrealistisch hohen CO2-Einsparungen ausgehen. Dadurch werden wesentlich mehr CO2-Zertifikate verkauft als tatsächlich CO2 vermieden wird. Nach der bisher gängigen Methode beruhen die Abschätzungen zum einen auf historischen Trends zur Abholzung ähnlicher Flächen sowie auf Schätzungen zur weiteren Bevölkerungsentwicklung und Landnutzung in den entsprechenden Regionen. Diese sind den Forschenden zufolge allerdings oft ungenau und berücksichtigen überdies nicht aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen.
Um abzuschätzen, wie viel CO2 tatsächlich durch die zertifikatfinanzierten Schutzzonen eingespart wurde, haben West und sein Team 26 REDD+-Projekte in Peru, Kolumbien, Kambodscha, Sambia, Tansania und der Demokratischen Republik Kongo mit einer anderen Methode unter die Lupe genommen: „Wir haben reale Vergleichsstandorte herangezogen, um zu zeigen, wie jedes der von uns untersuchten REDD+-Waldprojekte höchstwahrscheinlich heute aussehen würde, anstatt uns auf Extrapolationen historischer Daten zu verlassen, die eine Vielzahl von Faktoren, von politischen Veränderungen bis hin zu Marktkräften, außer Acht lassen“, erklärt West.
Falsche Anreize und mangelnde Kontrollen
Das Ergebnis: „Wir haben festgestellt, dass die meisten Projekte die Entwaldung nicht wesentlich reduziert haben und bei den Projekten, bei denen dies der Fall war, waren die Reduzierungen wesentlich geringer als behauptet“, berichtet das Team. Nur etwa sechs Prozent der Kohlenstoffgutschriften, die im Jahr 2020 erzeugt wurden, waren nach Schätzungen der Forschenden mit der realen Vermeidung von CO2-Emissionen verknüpft. „Mit diesen Projekten wurde bereits fast dreimal so viel Kohlenstoff kompensiert, wie sie durch den Erhalt der Wälder tatsächlich gemindert haben“ sagt Co-Autor Andreas Kontoleon von der University of Cambridge. Dabei befindet sich ein großer Teil der generierten CO2-Zertifikate weiterhin auf dem Markt und wurde bisher noch nicht zum Ausgleich anderer CO2-Emissionen genutzt.
Eine Schwäche vieler der untersuchten Projekte ist den Forschenden zufolge, dass sie Wälder schützen, die ohnehin nur wenig gefährdet sind. „Dies sind Flächen, die ökonomisch unattraktiv sind, weit entfernt von Straßen liegen, in Gebirgen oder Sümpfen“, erklärt Jonas Hein vom German Institute of Development and Sustainability in Bonn, der nicht an der Studie beteiligt war. Dennoch geben die Anbieter der entsprechenden Zertifikate an, durch den bezahlten Schutz dieser Flächen könne eine große Menge CO2 eingespart werden. „Es gibt perverse Anreize, eine große Anzahl von Emissionsgutschriften zu generieren, und derzeit ist der Markt im Wesentlichen unreguliert“, sagt Kontoleon. „Es werden zwar Aufsichtsbehörden eingerichtet, aber viele der Beteiligten sind auch mit Zertifizierungsstellen für Emissionsgutschriften verbunden.“ Kontrollen werden deshalb teilweise von eben jenen Personen durchgeführt, die von möglichst hohen angeblichen CO2-Einsparungen profitieren.
Waldschutzprojekte nicht als Kompensation
„Die Ergebnisse der Studie haben weitreichende Folgen“, schreiben Julia Jones von der Bangor University in Großbritannien und Simon Lewis von der University of Leeds in Großbritannien in einem begleitenden Kommentar, der ebenfalls in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde. „Irreführende Kompensationen haben negative Folgen für das Klima, weil sie die freigesetzten Emissionen nicht ausgleichen, für den Waldschutz, weil sie die Entwaldung nicht so stark reduzieren wie behauptet, und für die künftige Finanzierung des Waldschutzes, weil das Reputationsrisiko, durch den Vorwurf der Augenwischerei in Verruf zu geraten, künftige Investitionen abschrecken könnte.“
Das Autorenteam fordert daher, die Methoden zur Zertifizierung der Projekte anzupassen und strengere Kontrollen einzuführen. „Die Methoden zur Erstellung von Entwaldungs-Basislinien für Klimaschutzmaßnahmen müssen dringend überarbeitet werden, um die reduzierte Entwaldung korrekt den Projekten zuzuordnen und so sowohl Anreize für den Waldschutz als auch die Integrität der globalen Kohlenstoffbuchhaltung zu erhalten“, schreiben sie.
Aus Heins Sicht würden jedoch auch solche Maßnahmen grundsätzliche Probleme nicht lösen – zumal Wälder das aufgenommene CO2 nur für einen begrenzten Zeitraum speichern und somit die Emissionen aus der Verbrennung von fossilen Brennstoffen selbst bei einem funktionierenden Zertifikatesystem nicht langfristig ausgleichen können. „Wenn kompensiert werden muss, zum Beispiel bei nicht vermeidbaren Flugreisen, dann sollte nicht in Waldschutz oder Wiederaufforstungsprojekte investiert werden, sondern in Projekte, die zum Beispiel in erneuerbare Energien investieren“, meint er. „Wenn Firmen dennoch aus Gründen der ,Corporate Social Responsibility‘ in den Schutz von Wäldern investieren wollen, dann sollte dies zusätzlich erfolgen und nicht Teil der Treibhausgas-Reduktionsstrategie von Unternehmen sein.“
Quelle: Thales West (Universität Amsterdam, Niederlande) et al., Science, doi: 10.1126/science.ade3535
Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.
Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.
Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Wissenschaft kategorie besuchen.