Wissenschaft

#Felskunst vom Neandertaler

Lange galt der Neandertaler als zu „dumm“, um sich künstlerisch auszudrücken – inzwischen jedoch gibt es einige Belege für Schmuck und Kunst von unserem eiszeitlichen Vetter. Jetzt haben Archäologen in einer Höhle in Frankreich ein mögliches weiteres Beispiel für Neandertaler-Kunst entdeckt. Es handelt sich um Linien- und Punktmuster, die vor mehr als 57.000 Jahren in den weichen Belag der Höhlenwände geschabt wurden – deutlich vor der Ankunft des Homo sapiens in Europa. Form und Anordnung der Fingerspuren legen nahe, dass diese Muster absichtsvoll erstellt wurden – ob als Kunst oder aus rituellen Grünen, ist noch unklar. Angesichts des hohen Alters könnten diese Fingermuster sogar die älteste bekannte Höhlenkunst des Neandertalers repräsentieren.

Als die ersten Vertreter des Homo sapiens, des anatomisch modernen Menschen, aus Afrika nach Europa einwanderten, waren sie nicht die ersten Menschen auf diesem Kontinent. Schon hunderttausende Jahre vorher hatten Neandertaler sich in weiten Teilen Eurasiens ausgebreitet. Sie hinterließen Steinwerkzeuge der sogenannten Moustérien-Kultur, aber auch Holzspeere, komplex zusammengesetzte Werkzeuge und einfachen Schmuck aus Adlerkrallen oder Muschelschalen. Lange war jedoch strittig, welche kognitiven Fähigkeiten der körperlich gut an die harschen Bedingungen der Eiszeit angepasste Neandertaler besaß. Bis heute ist beispielsweise unklar, ob er die Fähigkeit zum abstrakten Denken und zur Erschaffung symbolischer und figurativer Kunst besaß. Während frühe Vertreter unserer Vorfahren schon vor fast 40.000 Jahren kunstvolle Höhlenmalereien anfertigten, sind vom Neandertaler kaum Zeugnisse eines solchen schöpferischen Wirkens erhalten.

Linien und Punkte an der Höhlenwand

Doch nun könnten Archäologen um Jean-Claude Marquet von der Universität Tours in Frankreich neue Beispiele für Neandertalerkunst entdeckt haben. Sie führen schon seit 2008 Ausgrabungen und Untersuchungen in der Höhle La Roche-Cotard im Tal der Loire durch. Der Eingang zu dieser Höhle wurde 1848 zufällig bei Steinbrucharbeiten freigelegt und entdeckt. Seither haben Wissenschaftler in den vier Kammern der Höhle neben Tierknochen und Tierspuren auch zahlreiche Steinwerkzeuge der für den Neandertaler typischen Moustérien-Machart gefunden. Im Zuge einer photogrammetrischen Kartierung der Höhlenwände fielen dem Team um Marquet mehrere Wandbereiche auf, die mit einer Art Muster verziert zu sein schienen. Dieses besteht aus zahlreichen flachen Linien, die teilweise parallele Streifen bilden, teilweise schräg zueinander stehen. Sie sind in den weichen, feinkörnigen Belag der Tuffsteinwände eingedrückt und finden sich primär in den oberen Bereichen der Wände.

Auf der Suche nach einer Erklärung unterzogen die Archäologen die In die Höhlenwände eingesenkten Muster einer näheren Analyse. Dabei zeigte sich: Anders als Klauenspuren von Höhlenbären oder anderen Tieren zeigen diese eingesenkten Linien und Punkte keinen v-förmigen Querschnitt. „Diese Marken sind flacher, breiter und u-förmig“, berichten Marquet und sein Team. „Sie passen zu Spuren, die man mit einer Fingerspitze oder einem ähnlich geformten Werkzeug hinterlässt.“ Zudem seien die Muster für Tierspuren zu regelmäßig. Nach Ansicht von Marquet und seinem Team müssen diese Spuren demnach menschlichen Ursprungs sein. Dabei wäre es naheliegend, diese Spuren dem Homo sapiens zuzuschreiben – schließlich ist unsere Spezies für Felskunst und Höhlenmalereien bekannt.

Mehr als 57.000 Jahre alt

Doch Datierungen mithilfe der optisch stimulierten Lumineszenz (OSL) ergaben, dass die Muster in der La Roche-Cotard-Höhle älter sein müssen als 57.000 Jahre. „Dieses Alter macht es höchst unwahrscheinlich, dass der anatomisch moderne Mensch in dieser Höhle aktiv war“, konstatieren Marquet und sein Team. Denn die frühesten Vertreter des Homo sapiens erreichten Europa erst vor rund 45.000 Jahren. Zudem ist der Zugang zur Höhle seit rund 51.000 Jahren von dicken Sedimentschichten versperrt. Als der Homo sapiens diese Gegend erreichte, konnte er die Höhle daher nicht mehr betreten, wie das Team erklärt. Unter anderem deshalb gibt es dort keine Steinwerkzeuge, Knochen und sonstige Spuren einer menschlichen oder tierischen Präsenz aus der jüngeren Vergangenheit. Erst im 19. Jahrhundert drangen Menschen erstmals wieder in die Höhle ein.

Nach Ansicht der Archäologen spricht alles dafür, dass die Fingermuster in der Roche-Cotard-Höhle vom Neandertaler stammen – und dass sie absichtlich an den Höhlenwänden platziert wurden. „Das Layout dieser nichtfigurativen grafischen Einheiten bildet eine organisierte und absichtsvolle Komposition“, schreiben sie. „Sie sind das Resultat eines Denkprozesses, der zu einer bewussten Gestaltung und Intention führt.“ Ob diese Muster das Produkt eines künstlerischen Ausdrucks waren oder vielleicht sogar eine rituelle Bedeutung besaßen, ist allerdings unklar. „Wir können nicht feststellen, ob sie symbolisches Denken repräsentieren“, so Marquet und sein Team. „Die Spuren aus der La Roche-Cotard sind dennoch eine neue und sehr wichtige Erweiterung unseres Wissens über das Neandertaler-Verhalten.“ Da das maximale Alter der Fingerspuren nicht genau bestimmbar war, könnte es sich sogar um die älteste Höhlenkunst Europas handeln.

Quelle: Jean-Claude Marquet (Université de Tours) et al., PLoS ONE, doi: 10.1371/journal.pone.0286568

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Wissenschaft kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!