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#Covid statt Karies

Covid statt Karies

Die prall gefüllte Schüssel mit Schokobonbons wirkt wie ein süßer Widerspruch zwischen weißen Kuscheltieren in Backenzahn-Form. „Nervennahrung“, sagt Martina Basile, Zahnmedizinische Fachangestellte im Frankfurter Gesundheitsamt. „Dazu stehe ich.“ Schließlich sei es auch einer Expertin für Mundhygiene nicht verboten, Schokolade zu essen. Es komme aber im Anschluss auf die richtige Zahnpflege an. Und über die kann Basile viel erzählen. Fast, als habe man einen Schalter umgelegt, sprudelt es aus ihr heraus. Sie erklärt die Putztechnik – „Die Kauflächen, Außenflächen und Innenflächen zu reinigen ist wichtig“, sagt sie. Und sie erinnert mit strengem Blick daran, die Zahnbürste regelmäßig zu wechseln. „Das darf kein Schrubber sein.“

Marie Lisa Kehler

Stellvertretende Ressortleiterin des Regionalteils der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Seit Ausbruch der Pandemie hat sie diesen kleinen Vortrag niemandem mehr gehalten. Ihre eigenen Kinder, mittlerweile schon junge Erwachsene, sind aus dem Alter, in dem betreutes Zähneputzen auf dem Plan steht, herausgewachsen. In Grund- und weiterführenden Schulen, in denen sie früher Vorträge gehalten und gemeinsam mit einem Zahnarzt den Zahnstatus der Kinder überprüft hat, war sie schon lange nicht mehr. Dieses Aufgabenfeld lag in den vergangenen Monaten fast komplett brach – mit fatalen Folgen, wie Basile befürchtet. Sie geht davon aus, dass viele Kinder, deren Eltern den regelmäßigen Besuch beim Zahnarzt schleifen lassen, Karies entwickelt haben und schon bekannte Schäden nicht behandelt wurden.

Gemeldet wird mittlerweile digital

Aber Basile und ihre Kollegen können nur Vermutungen anstellen. Das Team, das sich eigentlich um die Zahngesundheit von Schülern kümmert, wurde in den vergangenen Monaten an anderer Stelle benötigt. Die Zahnmedizinische Fachangestellte arbeitet seit Ausbruch der Pandemie im Bereich „Falleingabe“.

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Bei ihr und ihrem Team laufen die positiven PCR-Befunde aus den unterschiedlichen Laboren ein. Zu Beginn sei das sogar noch in Papierform geschehen, erinnert sich Martina Basile. Bergeweise stapelten sich die Dokumente im Amt. Das hat sich geändert. Gemeldet wird mittlerweile auf digitalem Weg. Jedoch arbeiten alle Labore laut Basile mit eigenen Vorlagen. Der relevante CT-Wert, der Auskunft darüber gibt, wie hoch die Viruslast ist, versteckt sich immer an einer anderen Stelle auf dem Papier.

Basile muss neu gemeldete Fälle von solchen trennen, die schon einmal registriert wurden. Fälle von Menschen etwa, die versuchen, sich aus der Quarantäne freizutesten. Die Daten der Neuinfizierten werden im Anschluss an das Robert-Koch-Institut und hausintern an die Abteilung für Indexfallbearbeitung weitergeleitet, also an die Kollegen, die die Infizierten kontak­tieren. Während Basile spricht, läuft ihr Posteingang voll. 600 Meldungen am Tag waren es zu Spitzenzeiten. „Man kann es schon ein bisschen mit ­Fließbandarbeit vergleichen“, sagt Basile. Und trotzdem komme sie jeden Morgen gern an ihren neuen Arbeitsplatz. Weil der kollegiale Zusammenhalt ein besonderer sei, die Mitarbeiter aller Abteilungen zwar akribisch auf die Einhaltung der Abstandsregeln achteten, trotzdem aber näher zusammengerückt seien.

Zurück an die Schulen

Martina Basile hat am eigenen Leib erfahren, dass hinter jedem eingepflegten Fall eine Geschichte, manchmal ein schweres Schicksal stecken kann. Sie selbst ist im Frühling 2021 an Covid-19 erkrankt. Auch ihr Mann und ihre Eltern waren infiziert. Während die Neunundvierzigjährige einen milden Krankheitsverlauf durchlebte, musste ihr Vater intensivmedizinisch versorgt, ihr Mann über viele Tage hinweg auf der Covid-Normalstation behandelt werden. „Ich erinnere mich an die Hilflosigkeit“, sagt sie. Seither habe sich der Blick auf ihre Arbeit verändert. „Ich habe bis dahin nur die Daten eingegeben. Die Geschichten dahinter kannte ich nicht. Auf einmal waren wir eine dieser Geschichten. Das hat mich nachdenklich gestimmt.“

Trotzdem: Ihre Sehnsucht steigt, endlich wieder die Aufgaben erfüllen zu dürfen, für die sie brennt. Am Montag könnte es wieder losgehen. Zumindest theoretisch. Vier Mitglieder des zwanzigköpfigen zahnmedizinischen Teams sollen die Arbeit in den Schulen wieder aufnehmen. Dafür wurde eine Prioritätenliste erstellt. Jene Schulen, in denen schon vor Ausbruch der Pandemie viele Kinder mit Zahnproblemen registriert wurden, sollen zuerst kontaktiert werden. Basile traut sich noch nicht, sich auf die zu erwartende Abwechslung zu freuen. Die Pandemie hat sie gelehrt, besser keine Pläne zu machen. Die ersten Besuche in den Schulen könnten eine Art Realitätscheck werden. Es gehe darum, sich ein Bild der Lage zu machen.

Denn Martina Basile befürchtet, dass manch ein Schüler, der schon vor Ausbruch der Pandemie über Karies klagte, nun noch größere Probleme haben könnte. Denn durch den Wegfall der Schulbesuche ist für viele Eltern eine Kontroll- und Alarmin­stanz verloren gegangen. War der Besuch beim Zahnarzt zuvor in manchen Haushalten schon nicht selbstverständlich, wird die Pandemie die Situation noch verschärft haben. Auch vermutet Basile, dass viele Schüler in der Zeit des Homeschoolings und des Lockdowns mehr genascht haben als zuvor – ohne dass darauf geachtet wurde, ob und wie die Zähne geputzt wurden.

Eine Art Hilferuf

Der Besuch der Zahnärzte und Zahnmedizinischen Fachangestellten in den Schulen sei auch immer ein Versuch gewesen, die Eltern für das Thema zu sensibilisieren. Fällt Karies auf, geben die Ärzte ein Schreiben mit nach Hause. Zum Handeln zwingen kann das Gesundheitsamt die Familien nicht. Durch den zuvor aber regelmäßigen Kontakt zu den Schülern, allein in der Grundschulzeit bis zu achtmal, werde zumindest versucht, ein gewisses Verständnis und Dringlichkeit zu vermitteln.

Manch eine Schule habe sogar eine Art Hilferuf ins Amt geschickt. Viele Lehrer berichten laut Basile von Zahnproblemen bei Schülern. Ein weniger dramatisches Bild zeichnen ihren Angaben zufolge viele niedergelassenen Zahnärzte. Aber zu denen, davon ist sie überzeugt, kommen ohnehin nur die Eltern mit ihren Kindern, die das Thema ernst nehmen.

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