#Sogar Quallen können lernen
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Von wegen „dumme“ Glibber-Wesen – Quallen sind clevererer als bisher gedacht, zeigt eine Studie: Obwohl sie nur ein simples Nervensystem besitzen, können sie aus Erfahrungen lernen und ihr Verhalten sinnvoll anpassen, geht aus Experimenten hervor. Die Studie stellt damit die bisherige Annahme infrage, wonach für komplexere Formen des Lernens ein Zentralgehirn nötig ist. Außerdem liefern die Ergebnisse Hinweise auf die evolutionären Wurzeln der Lern- und Gedächtnis-Funktionen im Tierreich, sagen die Forscher.
Aus Erfahrung wird man klug: Dabei handelt es sich um ein wichtiges Erfolgsrezept unserer Spezies. Denn wir können in besonders raffinierter Weise Zusammenhänge erfassen, sie uns merken und das Gelernte anschließend sinnvoll einsetzten. In verschiedenen Ausprägungen besitzen bekanntlich auch viele Tiere diese Fähigkeit zum sogenannten assoziativen Lernen. Bisher ging man jedoch davon aus, dass dazu ein höher entwickeltes Gehirn nötig ist, wie es Wirbeltiere, Insekten und einige Weichtiere besitzen. „Simpleren“ Wesen wie den Quallen wurde diese Fähigkeit bisher hingegen abgesprochen. Denn man ging davon aus, dass ihr eher einfaches Nervensystem nur in einer primitiven Weise Sinneseindrücke in Reaktionen umsetzen kann.
Vermeintlich simple Wesen im Visier
Diese bisherige Annahme hat nun ein deutsch-dänisches Forscherteam experimentell hinterfragt. Als Versuchstiere dienten ihnen dabei karibische Würfelquallen (Tripedalia cystophora). Diese Nesseltiere sind nur so groß wie ein Fingernagel und pulsieren auf der Jagd nach Wasserflöhen durch das trübe Wasser von Mangrovensümpfen. Ihr Schirm ist dazu mit 24 Augen ausgestattet, die mit vier Strukturen aus jeweils etwa tausend Nervenzellen verbunden sind. Über den Sehsinn können die empfindlichen Quallen Hindernisse wie Unterwasserwurzeln wahrnehmen und ihnen durch Anpassungen der Schirmkontraktionen ausweichen.
Wie die Wissenschaftler erklären, nehmen die Würfelquallen die räumliche Entfernung zum Hindernis dabei durch den Kontrast wahr: Bei einem bestimmten Grad der Verdunklung durch die sich nähernde Wurzel weichen sie aus, um eine Kollision zu vermeiden. Die Forscher sind nun der Frage nachgegangen, ob bei diesem Verhalten auch ein Lernprozess eine Rolle spielt. Dies erschien denkbar, denn die Sichtverhältnisse im Wasser können sich durch Variationen des Schwebstoffgehalts im Lebensraum der Würfelquallen deutlich verändern.
Auch Würfelquallen werden aus Erfahrung klug
Um ihren Lebensraum zu simulieren, führten die Forscher ihre Experimente in einem Versuchsbecken durch, dessen Innenwände ein Muster aus grauen und weißen Streifen besaßen. Die hellen Bereiche entsprachen dabei der freien Wasserumgebung und die dunklen Streifen repräsentierten die Mangrovenwurzeln, denen es auszuweichen galt. Bei unterschiedlichen Kontrastverhältnissen wurden dann Würfelquallen in das Versuchsbecken gesetzt und die Forscher analysierten anschließend das Schwimmverhalten der Tiere.
Dabei zeigte sich: Zu Beginn der Experimente stießen die Quallen noch häufig gegen die simulierten Wurzeln an der Beckenwand. Doch schon nach wenigen Minuten hatten sie ihren durchschnittlichen Abstand zu den Hindernissen bereits um etwa 50 Prozent vergrößert und prallten durch eine Anpassung der Schwimmrichtung nur noch halb so häufig gegen die dunklen Bereiche. Außerdem zeigte sich: Wenn die Forscher die Kontraste veränderten, passten sich die Tiere an diese scheinbar veränderten Sichtverhältnisse an.
„Aus den Ergebnissen ging somit hervor, dass Würfelquallen durch die Kombination von visuellen und mechanischen Reizerfahrungen lernen können“, sagt Seniorautor Anders Garm von der Universität Kopenhagen. „Wir stellten dabei fest, dass drei bis fünf fehlgeschlagene Ausweichmanöver ausreichen, um das Verhalten der Quallen so zu verändern, dass sie nicht mehr auf die simulierten Wurzeln treffen. Diese Feststellung ist besonders interessant, da dies in etwa dem Input entspricht, den eine Fruchtfliege oder Maus zum Lernen benötigt“, sagt Garm.
Dem neuronalen Prozess auf der Spur
Um erste Einblicke in die zugrunde liegenden Prozesse zu gewinnen, führten die Wissenschaftler anschließend Untersuchungen an den funktionalen Einheiten des Systems durch: Es handelt sich dabei um die insgesamt vier Rhopalia, die jeweils sechs Augen und einen Komplex aus etwa 1000 Nerven umfassen, die mit dem Bewegungssystem verbunden sind. Die Forscher präsentierten nun den Augen von isolierten Rhopalia dunkle Balken, um zu simulieren, dass sich die Qualle einem Hindernis annähert. Wie sich zeigte, reagierte die Struktur zunächst nicht auf hellgraue Reize durch Nervenimpulse – offenbar interpretierte sie diese als noch weit entfernte Hindernisse. Nachdem die Forscher das Rhopalium jedoch mit simulierten Kollisionen stimuliert hatte, begann es auch auf die hellgrauen Balken mit Signalen zum Ausweichen von Hindernissen zu reagieren.
Wie das Team erklärt, steckt in den Ergebnissen nun eine erhebliche Bedeutung für die Forschung: „Für die Neurowissenschaften ergibt sich aus den Ergebnissen eine neue Perspektive darauf, was mit einem einfachen Nervensystem geleistet werden kann“, sagt Garm. Erst-Autor Jan Bielecki von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hebt außerdem die evolutionäre Bedeutung hervor. Denn Würfelquallen ähneln wohl noch denjenigen Wesen, die in der Evolutionsgeschichte erstmals Nervensysteme entwickelt haben. „Wenn diese Tiere in der Lage sind zu lernen, könnte es sich um eine grundlegende Fähigkeit von Nervenzellen oder neuronalen Netzwerken handeln. Das weist darauf hin, dass diese Fähigkeit früher als bisher angenommen existierte“, so Bielecki.
Das Team will nun auch am Ball bleiben: „Wir versuchen jetzt genauer herauszufinden, welche Zellen am Lernen und an der Gedächtnisbildung beteiligt sind“, sagt Garm. Möglicherweise handelt es sich um grundlegende neuronale Konzepte, sagen die Forscher. „In diesem Fall könnte sich die Würfelqualle zu einem Modellsystem entwickeln, um zelluläre Prozesse beim fortgeschrittenen Lernen bei Tieren zu untersuchen“, sagt der Wissenschaftler abschließend.
Quelle: University of Copenhagen – Faculty of Science, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Fachartikel: Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2023.08.056
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