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#Das Gendern der Gunza

Das Gendern der Gunza

Das Großartige an Geschichte ist, dass bei unvoreingenommenem Blick kein Raum für Verallgemeinerungen und Vorurteile mehr bleibt. Schon gar nicht eignet sich Geschichte als Arsenal für Cancel Culture und Vulgärfeminismus à la „Das gesamte Mittelalter hindurch wurden Frauen unterdrückt, und sie hatten nichts zu sagen“.

In der Übergangszeit vom sechsten zum siebten Jahrhundert, als Völkerwanderungszeit angeblich besonders finster, regiert Königin Theudelinde von Monza fast vierzig Jahre lang das mächtige Langobardenreich, zehn davon allein. Im zehnten Jahrhundert regiert die byzantinische Prinzessin Theophanu, die unter anderem das Westwerk von Sankt Pantaleon in Köln bauen lässt, als deutsche Kaiserin nach dem Tod ihres Gemahls Otto II. das Reich acht Jahre lang faktisch allein. Zugleich schreibt die einflussreiche Äbtissin und Dichterin Roswitha von Gandersheim im Harz einen mystischen Bestseller nach dem anderen, während mächtige Frauen aus dem ottonischen Kaiserhaus die Städte und Klöster von Quedlinburg bis Gernrode leiten, was im elften Jahrhundert dann die im März 1200 sogar heiliggesprochene Kaiserin Kunigunde mit einer forcierten Kulturpolitik und einem Bauprogramm von allein sieben neuen Kirchen auf der grünen Wiese von Bamberg fortsetzen sollte. Wieder hundert Jahre später berät und maßregelt die Mystikerin Hildegard von Bingen gar Könige. Zugegeben, alle waren sie hochwohlgeborene Damen. Was geschieht einige Stufen der Macht darunter, was macht etwa Gunza von Chelles?

 So geht Schwangerschaft: Lamspringer Psalter, um 1280





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Bilder von Frauenhand in Köln
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Mittelalterliche Selbstporträts von Nonnen im Kölner Schnütgenmuseum

Gunza wer? Die Nonne des Frauenklosters östlich von Paris erfindet im achten Jahrhundert das Gendern. Sie liest viel und schreibt im Skriptorium ihres Klosters Chelles wie viele andere theologische Schriften ab. Anders als ihre Mitnonnen aber hebt Gunza in den kopierten Schriften frauenfreundliche Stellen farbig hervor und lobt sie in Annotationen, Frauenfeindliches dagegen markiert sie dick in Rot. Das Erstaunlichste jedoch: Rein männliche Formen in den Texten ergänzt sie mehrfach durch weibliche, wo etwa nur ein „iste“ („dieser da“) steht, fügt sie ein „ista“ hinzu. War Gunza nur eine Ausnahme, mit ihrer idiosynkratischen Schreibreform wie eine selbstbewusst eigenständig rechnende Pippi Langstrumpf des achten Jahrhunderts? Und was vor allem verbindet Chelles mit der nun in Köln eröffneten Ausstellung „Von Frauenhand“, in der es dem Untertitel zufolge doch nur um „mittelalterliche Handschriften aus Kölner Sammlungen“ gehen soll? Ganz einfach: Chelles ist von 700 bis ins elfte Jahrhundert hinein eines der großen Bildungs- und Buchproduktionszentren, Eton und Mainz zugleich. Da England in dieser Zeit noch keine Frauenklöster hat, werden beispielsweise auch alle englischen Königstöchter und Hochadeligen zur Ausbildung auf den Kontinent nach Chelles geschickt. Geleitet wird das Kloster in seiner Blütezeit im achten Jahrhundert von Gisela, der Schwester Karls des Großen. Genau aus diesem Kloster bestellt der ebenfalls mächtige und reiche Erzbischof von Köln, Hildebald, um 800 eine kostspielig dreiteilige Prachthandschrift, des Kirchenvaters Augustinus Psalmen-Kommentar, der jetzt als Leihgabe der Dombibliothek in Köln aufgeschlagen vor den staunenden Besuchern liegt. Mit der wie gedruckt klaren Schrift und der Gliederung der Handschrift in Kapitel und Zwischenüberschriften wirkt das Buch modern, denn tatsächlich werden in dieser Zeit der karolingischen Bildungsreform mit übersichtlich gestalteten Büchern in korrektem und gut lesbarem Latein die Grundlagen für das heute noch übliche Buchlayout gelegt. Lediglich die aus Fischen in Grün und Mennigeorange gebildeten Initialen stechen in ihrem Mix aus insularer Kunst und älteren merowingischen Gestaltungsmerkmalen aus dem modernen Erscheinungsbild heraus.

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