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Das Jahrhundert-Experiment

„Vom Gebirg zum Ozean, alles hört der Radiomann.“ Längst ist dieser aus den Dreißigerjahren stammende Werbespruch für den Radiomann-Experimentierkasten des Kosmos-Verlags selbst Geschichte. Und doch lässt sich noch immer die Faszination spüren, welche von diesem und anderen Experimentierkästen der Franckh’schen Verlagsbuchhandlung für Kinder und Jugendliche ausging. Dazu gehörten auch Kästen rund um die Antriebstechnik („Der Technikus Maschinen schafft, für Wasser-, Luft- und Dampfeskraft“) und Chemie („Alles was im Hause ist, untersucht der All-Chemist“).

Die genannten Experimentierkästen gehören zu einer Erfolgsgeschichte, die vor 100 Jahren begann. 1922 erschienen in dem Stuttgarter Verlag, der auch die populäre naturwissenschaftliche Zeitschrift Kosmos herausgab, die ersten Sets für naturwissenschaftliche Experimente nach Ideen des Schweizer Pädagogen Wilhelm Fröhlich. Der breite Markterfolg stellte sich wohl eher zufällig ein. Denn zunächst wollte der Lehrer mit den Kästen altersgerechtes und anschauliches Material mit gut nachvollziehbaren Anleitungen für den Schulunterricht anbieten. Die Produkte erwiesen sich aber trotz durchaus stattlicher Verkaufspreise auch für private Käufer als attraktiv – und das weit über Deutschland hinaus. Beim Verlag heißt es dazu aus Anlass des Jubiläums: „Nur wenige Jahre nach der Markteinführung werden die Experimentierkästen in die ganze Welt exportiert und anlässlich der Weltausstellung 1937 in Paris sogar mit einer Goldmedaille ausgezeichnet.“

Das Genre der über den Spielwarenhandel vertriebenen Experimentierkästen erfunden haben Fröhlich und seine Stuttgarter Partner allerdings nicht. So beschreibt Viola van Beek 2009 in einem Aufsatz über „Experimentierkästen, Experimentalanleitungen und Erzählungen zwischen 1870 und 1930“ verschiedene Anbieter. Die Wissenschaftlerin führt die Tradition solcher bürgerlichen Lernspielzeuge unter anderem auf „mobile Heimlaboratorien“ und „Probierkabinette“ des 18. und 19. Jahrhunderts zurück.

Auf Empfang: Der Kosmos-Radiomann hatte 1934 Premiere.


Auf Empfang: Der Kosmos-Radiomann hatte 1934 Premiere.
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Die durchdachten Kosmos-Experimentierkästen überzeugten von Beginn an mit einem Fokus auf bestimmte Felder der Naturwissenschaften. Dieses Selbstverständnis klingt selbstbewusst in der Beschreibung des frühen Kosmos-Baukastens Elektro aus dem Jahr 1922 an. Dort heißt es, der mit Drähten, Spulen, Schaltern und weiteren Elementen ausgestattete hölzerne Schiebekasten ermögliche es, „die gesamte Elektrotechnik in 389 Versuchen“ zu erkunden. Sprachlich etwas blumiger kamen ein Jahrzehnt später Kästen wie der erwähnte Radiomann mit ihren gereimten Werbeslogans daher.

Viele andere Hersteller übernahmen das Konzept der Experimentierkästen mit ausführlichen Anleitungen. Hier half es, wenn sich im Sortiment bereits Konstruktionsspielzeuge wie Metallbaukästen fanden. Märklin aus Göppingen beispielsweise bewarb seine Baukästen aus perforiertem Blech im Jahr 1931 als „das ideale Spielzeug und Lehrmittel“ mit Blick auf Mechanik und Stahlbau. Der Schritt zu Produkten wie dem elek­trischen Experimentierkasten Elex war da nur konsequent. Zur Reihe dieser Kästen heißt es im Katalog von 1950: „Sie wollen die Jugend in die Grundgesetze von Magnetismus und Elektrotechnik einführen.“ Zur Ausstattung des größten Kastens 503 gehörten damals auch Telefonhörer, um einen „Fernsprechapparat“ bauen zu können.

„Das Experimentieren ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Baukästen und steckt tief in ihrer DNA“, sagt auch Hartmut Knecht, Leiter Entwicklung von Fischertechnik. Das Konstruktionsspielzeug aus Kunststoff sei zu Beginn beispielsweise im Schulunterricht für Experimente in Gebieten wie Mechanik und Statik eingesetzt worden. Längst sind weitere Fächer dazugekommen, einen Schwerpunkt bilden dabei Informatik und Elektrotechnik. Davon profitieren nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Erwachsene in Studium und Beruf. Denn komplexe Experimentiersysteme wie die Lernfabrik von Fischertechnik werden unter anderem eingesetzt, um Konzept und Steuerung realer Industrieanlagen zu simulieren und zu testen.

An der Faszination von Kindern und Jugendlichen am Ausprobieren und Entdecken hat sich seit 1922 nichts geändert. Weiterentwickelt haben sich aber viele Fragestellungen, mit denen sich die MINT-Disziplinen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik beschäftigen. Die Kosmos-Experimentierkästen decken daher heute auch Themen wie Robotik und Künstliche Intelligenz („Die K.I. hört auf’s Wort“) ab. Für die Urenkel des Radiomanns gilt: Das Jahrhundertexperiment ist geglückt.

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