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#Und im Landwehrkanal treiben die Leichen

Und im Landwehrkanal treiben die Leichen

Es ist nicht gerade der idyllischste Fleck Berlins, an dem Kirsty Bell ihre Stadterkundung beginnt. Seit 2014 lebt die Kunstkritikerin im dritten Stock eines Altbaus am Rande Kreuzbergs, gegenüber dem Landwehrkanal und unweit des Potsdamer Platzes. Haus und Wasser trennt eine zweispurige Straße. Im Gebüsch am Ufer des Kanals, eines zehn Kilometer langen Nebenarms der Spree, der 1845 angelegt wurde und der Versorgung der wachsenden Stadt mit Baumaterial diente, liegen achtlos weggeworfene Plastiktüten. Nur selten kommen Fußgänger vorbei. Der Regen tut sein Übriges, wenn man sich an einem düsteren Januartag aufmacht, den Spuren Bells und ihrer Erzählung zu folgen.

Ausgerechnet von diesem trüben, vermeintlich abseitigen Ort zeichnet sie mit „Gezeiten der Stadt“ ein fesselndes Berlin-Porträt. Es reicht vom neunzehnten Jahrhundert über die Weimarer Jahre und das Kriegsende bis in die Gegenwart und handelt viel von Wunden und Narben der Stadt. Ausgehend vom Blick aus ihrem Küchenfenster und den Macken des Hauses, bringt die Autorin einen langen Gedankenstrom aufs Papier, der nie abbricht, stolpert oder sich in einer Sackgasse verliert. Geographisch kreist die Erzählung in einem kleinen Radius um Bells Haus. Vom Küchenfenster aus schaut Bell nicht nur auf den langen Schornstein eines alten Abwasserpumpwerks, das sie zur Geschichte der Berliner Kanalisation führt, sondern auch auf das siebenhundert Meter entfernte Excelsior Haus am Askanischen Platz, einen trostlosen Wohnklotz der Sechzigerjahre, der heute dort steht, wo einst das legendäre Hotel Excelsior stand.

Vom einstmals größten Bahnhof zur Ruine

Bell versteht sich als Näherin, die Beweisschnipsel zusammenheftet. Einen solchen Schnipsel bilden etwa die Geschichte des 1841 eingeweihten Anhalter Bahnhofs und des Hotels Excelsior. 1908 eröffnet, war das fortschrittliche, später als größtes Hotel des Kontinents beworbene Haus vor allem gedacht für Geschäftsreisende, die die Eisenbahn nach Berlin schwemmte. Im November 1918 gründete sich im Hotel Excelsior der Spartakusbund. Nur zwei Monate später wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von Mitgliedern der Garde-Kavallerie-Schützen-Division misshandelt und ermordet, Luxemburgs toten Körper warf man in den Landwehrkanal. Es war nicht das erste und nicht das letzte Mal, dass im Kanalwasser im Laufe von anderthalb Jahrhunderten eine Leiche trieb, lernt man bei Bell.

Kirsty Bell: „Gezeiten der Stadt“. Eine Geschichte Berlins.


Kirsty Bell: „Gezeiten der Stadt“. Eine Geschichte Berlins.
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Bild: Kanon Verlag

Seit 1928 war das Hotel Excelsior über einen großzügigen unterirdischen Tunnel mit dem gegenüberliegenden Anhalter Bahnhof verbunden, von dem heute nur noch eine Ruine steht: ein „schartiges Stück Wand, dessen vier große, aus dem Mauerwerk geschnittene Rundfenster nichts weiter als leeren Himmel einrahmen“. Von Berlins einstmals größtem Bahnhof ist allein dieser Teil des Portikus übrig geblieben: „Ein freistehender Überrest, der das unheimliche Fehlen eines dahinterliegenden Gebäudes nur zu betonen scheint. Die Ruine des Anhalter Bahnhofs in meinem Fenster ist eine Chiffre, die von verflochtenen Historien berichtet.“

Einst Stolz der Eisenbahnindustrie und Symbol des Fortschritts, flohen vom Anhalter Bahnhof von 1933 an etliche Menschen ins Exil. Zwischen 1942 und 1945 wurden von dort knapp zehntausend Berliner Juden vorwiegend nach Theresienstadt deportiert. Eine „auffällige Unterbrechung“ findet sich Bell zufolge zwischen dem 17. Dezember 1942 und dem 12. Januar 1943 – „damit die Nazis Weihnachten feiern konnten“.

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