#Das Opernfestival in Wexford mit Werken von Marco Tutino und Camille Erlanger
Inhaltsverzeichnis
Im irischen Wexford sind jeden Herbst Raritäten der Oper zu sehen. Dieses Mal darunter „La Ciociara“ von Marco Tutino und „Le juif polonais“ von Camille Erlanger.
Die schwungvolle Melodie der irischen Nationalhymne, für die sich das Publikum vor jeder Vorstellung des auf Raritäten spezialisierten Wexford Opernfestivals erhebt, täuscht über den kriegerischen Charakter des Textes hinweg. Ursprünglich auf Englisch gedichtet, wurden die Verse des republikanischen Soldatenliedes aus der Zeit der sich zuspitzenden Unabhängigkeitsbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts nachträglich ins Gälische übersetzt, eine Sprache, die weniger als vierzig Prozent der Bevölkerung etwas sprechen und nur zehn Prozent behaupten sehr gut zu beherrschen. Es bleibt Spekulation, wie hoch der Anteil derer ist, die wissen, was sie da in dem schönen kleinen Opernhaus zwischen den Reihenhäusern des Fischerstädtchens an der Mündung des Slaney schmettern, wenn da steht, dass die Soldaten sich „inmitten von Kanonendonner und Flintenschüssen“ verpflichten, ihr Leben einem freien Irland zu widmen. Sicher ist, dass viele Iren finden, ihre Nationalhymne stehe nicht im Einklang mit der modernen Identität ihres Landes.
Die alltäglichen Schlachten
Sie passt allerdings zum Thema des 72. Festspiels, das im Hauptprogramm drei Melodramen unter dem bedauerlicherweise immer aktuellen Titel „Frauen und Krieg“ bündelt. Die gegenwärtigen Zustände in der Ukraine und der brutale Angriff der Hamas auf Israel verliehen dem Spielplan zusätzliche Brisanz. Im Sinne des feministischen Zeitgeistes dehnt die das Festival seit 2020 leitende Rosetta Cucchi den Begriff freilich auf die alltäglichen Schlachten aus, die sich Frauen aufgrund ihres Geschlechts liefern müssten. Frauen wie die jung verwitwete Lebensmittelladen-Besitzerin Cesira in Marco Tutinos Oper „La Ciociara“: Sie wurde 2015 in San Francisco uraufgeführt und beruht auf dem 1957 veröffentlichten Roman von Alberto Moravia, der darin eigene Kriegserfahrungen im ärmlichen, Ciociaria genannten Gebiet südöstlich von Rom verarbeitete.
Die Filmfassung „Und dennoch leben sie“ mit Sophia Loren trug dem Regisseur Vittorio de Sica einen Oscar ein. Die Handlung: Als sich der Kampf um Rom 1943 zuspitzt, schließt Cesira ihren Laden und flieht mit ihrer adoleszenten Tochter Rosetta in die heimatliche Ciociaria. Dort aber holt sie der Krieg ein. Im untergehenden faschistischen Regime versucht sich das verwirrte Bauernvolk zwischen deutschen Besatzern und heranrückenden Alliierten zu arrangieren. Köstlich, wie Rosetta Cucchi die vignettenhafte Szene an der kleinbürgerlichem Tafel gestaltet, in der das spießige, mitläuferische Muttersöhnchen dem bei der Familie einquartierten deutschen Offizier (Alexander Kiechle) nach dem Munde redet, derweil die italienische Mamma die Konfrontation mit dem Partisanen Michele (Leonardo Caimi) durch ständiges Nachreichen von Speisen zu entschärfen sucht.
Angespannte Tischgesellschaft: Szene aus der Oper La ciociara
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Bild: Clive Barda
Der harte Überlebenskampf hat eine transformative Wirkung auf Cesira und ihre Tochter. Während das Trauma einer Massenvergewaltigung durch marokkanische Söldner die kindliche Unschuld der von der Nachwuchssopranistin Jade Phoenix eindringlich gesungenen Rosetta zerstört und aus ihr eine zynische junge Frau macht, bringt die israelische Mezzosopranistin Na’am Goldman den weichen Kern in der harten Schale der couragierten Mutter berührend ans Licht.
Tutino komponiert gegen den Strom der Zeit im Idiom der traditionellen italienischen Oper. Sein puccinihafter Neoverismus erzeugt die klangmalerische Wirkung von Filmmusik, zumal in der neuen Orchestrierung für das kleinere Wexford Festspielorchester unter der vitalen Leitung von Franceso Cilluffo. Tutinos Adaption der Geschichte ist denn auch eher am Film als am Roman angelehnt, wobei die Randfigur von Cesiras Verehrer Giovanni in der Oper als Inbegriff des skrupellosen Wendehalses ausgefleischt wird, dessen niederen Charakter der Bariton Devid Cecconi feinsinnig erfasst. Cucchi nimmt ebenfalls auf den Film Bezug, indem sie die Oper als Spiel im Spiel inszeniert. Im Regiestuhl am Bühnenrand soll de Sica den kreativen Kopf repräsentieren, der über die künstlerische Umsetzung des Stoffes reflektiert, während eine durch Tiziano Santis Bühnenbilder geisternde Tänzerin die Eingebung verkörpert. Mit tosendem Applaus rechtfertigt das Publikum Tutinos Streben, die italienische Oper nach dem Bruch der Moderne wieder mit der Tradition zu versöhnen.
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