Deborah Lipstadt über Trump und den Antisemitismus

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Auch die Regierung der Vereinigten Staaten hat die Stelle eines Beauftragten für den Kampf gegen Antisemitismus geschaffen. Während dieses Amt in Deutschland seit 2018 von dem Berufsdiplomaten Felix Klein bekleidet wird, aber im Bundesinnenministerium angesiedelt ist, gehört die von Präsident Trump einstweilen noch nicht wieder besetzte Planstelle in Washington zum Außenministerium. Die vom jüngeren Präsidenten Bush geschaffene Position des „Special Envoy for Monitoring and Fighting Antisemitism“ wurde 2021 in der Amtshierarchie aufgewertet. Seitdem führt der Sondergesandte den Titel eines Botschafters, weshalb seine Ernennung der Bestätigung durch den Senat bedarf.
Der Kampf gegen Antisemitismus geht einher mit dem „Monitoring“, der Überwachung oder systematischen Beobachtung, einer Aufgabe der Forschung, die auch von zivilgesellschaftlichen Organisationen mit eigener politischer Agenda wahrgenommen wird. Im Antisemitismusberichtswesen kommen Forschung und Aktivismus zusammen. Als erste Botschafterin des Anti-Antisemitismus nominierte Präsident Biden eine weltberühmte Wissenschaftlerin, Deborah Lipstadt, Professorin an der Emory-Universität in Atlanta, Historikerin des Holocaust und insbesondere der Holocaustleugnung, einer zeitgenössischen und (wenn hier Gradierungen überhaupt denkbar sind) besonders perfiden, nämlich pseudowissenschaftlich und humanitär getarnten Form des Judenhasses. Berühmt jenseits der Fachwelt wurde sie, weil der Historiker David Irving sie in London vergeblich wegen Verleumdung verklagte und sich dadurch in jeder Hinsicht ruinierte. Ihr Buch „History on Trial“ diente als Grundlage für einen Kinofilm.
Marco Rubio stimmte für Lipstadt
Im Senat wurde Lipstadts Ernennung zunächst von den Republikanern aufgehalten. Ihr wurden, wie es oft auch Personen des öffentlichen Lebens widerfährt, die sich gegen Antisemitismusvorwürfe wehren, Tweets älteren Datums vorgehalten. In ihrem Fall hatten die polemischen Kurzbotschaften einen parteipolitischen Inhalt. Lipstadt, geboren 1947 in New York und Tochter eines Kaufmanns aus Hamburg, die als Abschlussarbeit an der Brandeis-Universität einen Abriss der Geschichte des amerikanischen Zionismus von 1759 bis 1948 schrieb, kommt aus einer intellektuellen Kultur, in der das jüdische Bekenntnis mit entschiedener Unterstützung der Demokratischen Partei und des bürgerrechtlichen Universalismus zusammenging. 2017 hatte Lipstadt im „Atlantic“ Präsident Trump angegriffen, weil dessen Verlautbarung zum Holocaust-Gedenktag die „unschuldigen Opfer“ nicht als Juden benannt hatte. Diese „De-Judaisierung des Holocaust“ bewertete sie als weiche Variante der Holocaustleugnung. Im Mai 2022 konnte Lipstadt schließlich ihr Amt antreten, weil einzelne republikanische Senatoren für sie stimmten, darunter Marco Rubio, der heute Trumps Außenminister ist.
Nach Trumps zweitem Wahlsieg äußerte sich die scheidende Sondergesandte zunächst optimistisch, was ihr fachpolitisches Gebiet anging. Dem Onlinemedium „Jewish Insider“ sagte Lipstadt Anfang Dezember, sie sei überzeugt, dass die nächste Regierung das Thema des Antisemitismus sehr wichtig nehmen werde. „Alle Zeichen sprechen dafür.“ Sie hatte dabei insbesondere die Sicherheit jüdischer Studenten im Auge. Jetzt hat Deborah Lipstadt an derselben Stelle die Ansicht geäußert, dass die Trump-Regierung das Thema vielleicht nicht zu wichtig, aber in der falschen Weise wichtig nehme. Es werde zur Waffe gemacht („weaponized“) – in Deutschland würde man „instrumentalisiert“ sagen. Daher sei der „Ansatz“ der Regierung, so klagt sie in einem am 9. April publizierten Interview, „nicht so produktiv, wie er sein sollte“.

Das klingt, ganz unabhängig von der Bewertung der Maßnahmen, geradezu euphemistisch, wenn man Lipstadts Lagebeurteilung zur Kenntnis nimmt, die verheerend ist. Trump hat demnach alles schlimmer gemacht und durch die als Schutzmaßnahmen ausgegebenen Eingriffe in die akademische Autonomie die Unsicherheit für die von Antisemitismus bedrohten Universitätsangehörigen nur vermehrt. Noch Anfang März hatte Lipstadt in einem Artikel in „The Free Press“, dem anti-woken Ersatz-Leitmedium von Bari Weiss, bekannt gegeben, dass sie eine Gastprofessur an der Columbia-Universität abgelehnt habe, weil sie nicht als Alibi für eine feige Universitätsleitung dienen wolle. Inwieweit der von Trump seitdem auf Columbia und andere Universitäten ausgeübte Druck in der Sache zu weit geht, lässt Lipstadt im Interview im Ungefähren. „Wir sind immer noch ein Land der Gesetze und ein Land des Rechtsschutzes.“ Aus dem Mund einer altmodisch kämpferischen Liberalen grenzt diese Äußerung an Defätismus. Der allgemeine Verweis auf rechtliche Grenzen entlastet von einer Analyse der Angemessenheit der Anordnungen, die vielleicht nicht nur deshalb problematisch sind, weil Trump sie trifft.
Auch dieser Teil der regelbasierten Ordnung liegt in Trümmern
Dass eine Historikerin von Lipstadts Format ins Außenministerium berufen wurde, darf als Höhe- und Schlusspunkt einer Phase der internationalen Ideenpolitik gelten. Zu deren wichtigsten Daten gehören die Stockholmer Konferenz im Januar 2000, aus der die International Holocaust Remembrance Alliance hervorging, und die Eröffnung des United States Holocaust Memorial Museum 1993. Menschenrechts- und Erinnerungspolitik sollten zusammengehen. Deborah Lipstadt hat eigentlich kein diplomatisches Temperament. Aber als Ratgeberin und Erklärerin verbürgte sie mit ihrer Lust an der Kontroverse, dass mit der wertorientierten Außenpolitik im Inneren der Öffentlichkeiten der einzelnen Staaten kein Stillstellen der Debatten verbunden sein sollte. In Lipstadts publizistischen Interventionen geht Entschiedenheit mit intensiven Abwägungen einher, etwa zum Verhältnis von Antisemitismus und Antizionismus. Auch israelischen Regierungen warf sie Holocaustrelativierung auf der schiefen Ebene zur Holocaustleugnung vor.
Dieser Teil der regelbasierten Weltordnung des Westens liegt jetzt ebenfalls in Trümmern. An Lipstadts jüngsten Äußerungen, die allerdings mündlich getätigt wurden, frappiert die Verdrängung analytischer wie polemischer Gedanken durch die Artikulation existentieller Betroffenheit. Sie beschreibt sich als „schizophrene Person in der Mitte“ des Konflikts zwischen Trump und den Universitäten. An eine vernünftige Vermittlung der Gesichtspunkte glaubt sie offenbar nicht mehr.
Für den eigentlich kontraproduktiven Effekt von Trumps Politik hält Lipstadt die Solidarisierung mit den Opfern der behördlichen Zugriffe. „Es geht nicht gut aus für die Juden, wenn der jüdische Student auf dem Campus jetzt sagt: Nun, der Typ hat Unruhe gestiftet, sodass sich jüdische oder israelische Studenten auf dem Campus unsicher fühlen, aber jetzt muss ich ihn verteidigen.“
Eine ungeheure Bitterkeit spricht aus diesem Szenario. Das Engagement für die Rechte der Anderen, den viele jüdische Studenten als Gebot ihrer Tradition verstehen, scheint erpresst und in der Konsequenz selbstschädigend. Noch 2018, mitten in Trumps erster Amtszeit, hatte Lipstadt in ihrem Buch „Antisemitism: Here and Now“, einer Fibel im Dienst der Früherkennung, in der F.A.Z. rezensiert von Dan Diner, den neuen Alltagsantisemitismus als außeramerikanisches Phänomen dargestellt. Jetzt beschreibt sie auch die amerikanischen Juden als schutzlose, zum Zusammenrücken verdammte Minderheit. Aus solchen Betrachtungen der Lage der Juden war einmal der Zionismus entstanden. Nur dass es den jüdischen Staat heute schon gibt.
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