#Dem „Thermostat“ im Gehirn auf der Spur
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Um unsere Körpertemperatur zu regulieren, schwitzen oder zittern wir und suchen Orte mit für uns angenehmen Temperaturen auf. Letztere Strategie wenden auch Fische an – und dabei laufen Prozesse in ihrem Gehirn ab, die auch bei unserer Thermoregulation eine Rolle spielen, zeigt eine Studie. Dies legt nahe, dass das grundlegende „Thermostat-System“ im Gehirn schon früh im Laufe der Evolution entstanden ist, sagen die Wissenschaftler.
Bestimmte Werte sind optimal für die Körperfunktionen – bei extremen Temperaturen herrscht hingegen sogar Lebensgefahr. Deshalb haben alle Tiere Strategien entwickelt, um ihre Körpertemperatur bei Bedarf zu regulieren. Für gleichwarme Lebewesen haben sie eine besondere Bedeutung, denn für ihren optimalen Stoffwechsel sind bestimmte Werte wichtig – in unserem Fall 37 Grad Celsius. Um sie zu halten, verfügen die gleichwarmen Lebewesen über verschiedene Mechanismen: Durch Verdunstungskühlung oder die Weitung der Blutgefäße in der Haut geben sie überschüssige Wärme ab. Zittern oder erhöhte Verbrennung führen hingegen bei Bedarf zur Erwärmung. Außerdem gibt es Verhaltensanpassungen: Es werden warme oder kühle Plätze aufgesucht. Dies ist auch die einzige Anpassungsmöglichkeit, die wechselwarmen Tieren wie Fischen zur Verfügung steht, deren Körpertemperatur sich an die Umgebungswerte anpasst. Sie suchen Orte auf, die ihrer „Wohlfühl-Temperatur“ möglichst nahekommen.
Fischen ins Hirn geblickt
Über das Thermostat-System im Gehirn der gleichwarmen Lebewesen haben Neurowissenschaftler schon einiges herausgefunden. Nun hat sich ein Forschungsteam der Technischen Universität München (TUM) und der Universität Bonn auch der Untersuchung der Mechanismen bei den wechselwarmen Tieren gewidmet. „Wir haben uns gefragt, inwieweit sie optimale Temperaturbedingungen durch ähnliche Hirnmechanismen wie Menschen erkennen und wie diese ihnen dabei helfen, die richtige Temperatur-Umgebung zu finden“, sagt Co-Autorin Ilona Grunwald Kadow von der Universität Bonn.
Als Modell haben sich die Wissenschaftler dabei einen Aquarienfisch ausgesucht, der schon viele Einblicke in neurologische Mechanismen gewährt hat: den Zebrafisch. Er eignet sich dazu besonders, da seine Jungtiere durchsichtig sind. Dadurch kann man ihnen ins Gehirn schauen, während sie bestimmten Reizen ausgesetzt sind oder verschiedene Verhaltensweisen zeigen. Genau das haben die Forschenden auch in diesem Fall getan. „Die Versuchsfische waren genetisch so verändert, dass sie in ihren Nervenzellen einen Farbstoff produzierten. Dadurch leuchteten die Neuronen bei Aktivität auf. Wir konnten daher unter dem Mikroskop beobachten, welche Hirnregionen gerade arbeiteten“, erklärt Grunwald Kadow.
Bei ihren Versuchen umströmten die Forschenden die Fische zunächst mit Wasser, dessen Temperatur im Laufe der Fließstrecke zu- oder abnahm. „Wir konnten so zeigen, dass die Fische eine Temperatur von 25,3 Grad präferieren. Sobald es wenige Zehntel Grad kälter oder wärmer war, begannen sie, nach einem angenehmeren Ort zu suchen“, sagt Erst-Autorin Virginia Palieri von der TUM. Was dabei im Gehirn der Fische abläuft, könnten die Forscher an den Leuchtsignalen sehen, die mit der neuronaler Aktivität verbunden waren. Wie sich zeigte, wurden bei der Reaktion auf ungünstige Temperaturen zwei Regionen aktiv – der präoptische Bereich des Hypothalamus (PoA) und die dorsale Habenula.
Ähnlicher Hirnmechanismus wie bei uns
Damit schien sich die Hypothese der Forscher zu bestätigen. Denn auch Säugetiere wie der Mensch besitzen einen PoA und seine Funktion im Rahmen der Thermoregulation ist bereits bekannt: „Auch bei diesen deutlich höher entwickelten Organismen ist diese Hirnregion für die Temperatur-Regulation zuständig. Sie steuert autonome Maßnahmen wie Schwitzen oder Muskelzittern“, sagt Kadow. Im Fall der Fische ist der PoA offenbar dafür zuständig, Abweichungen von der Soll-Temperatur zu erkennen, wie die Forschenden durch weitere Versuche belegen konnten: „Wenn wir den PoA bei den Tieren ausschalteten, setzte auch bei größeren Differenzen zur Wohlfühl-Temperatur kein Suchverhalten ein“, sagt Palieri.
Obwohl das PoA etwas andere Funktionen übernimmt, handelt es sich den Ergebnissen zufolge somit um eine Art grundlegendes „Thermostat“ im Gehirn von Tieren, folgern die Forschenden. Da Fische eine alte Gruppe der Tiere sind, die auch die entfernten Vorfahren der Säugetiere repräsentieren, ergibt sich dabei ein interessanter Hinweis: Das grundlegende Thermostat-System im Gehirn ist offenbar bereits früh im Laufe der Evolution entstanden, sagen die Wissenschaftler.
Doch was hat es mit der ebenfalls festgestellten Aktivität der Habenula bei den Fischen auf sich? Das Team konnte zeigen, dass diese Hirnregion offenbar als eine Art Navi fungiert, wenn die Fische nach günstigen Temperaturen suchen. Denn mit ihr merken sie sich offenbar, an welchem Ort sie im Aquarium zuvor angenehme Werte vorgefunden haben, und schwimmen dann bei Bedarf zielgerichtet dorthin. „Mit ihrem Navi können sich die Tiere sehr effizient orientieren und schnell zur Stelle mit der besten Temperatur zurückfinden“, erklärt Seniorautor Ruben Portugues von der TUM. Wenn die Forscher die Funktion dieser Hirnregion hingegen beeinträchtigten, verloren die Fische diese Fähigkeit.
Diesem Aspekt planen die Forschenden nun auch weiter nachzugehen: Sie wollen genauer aufklären, wie das überraschend hochentwickelte Merkvermögen und Navigationssystem der Zebrafische funktioniert.
Quelle: Universität Bonn, Fachartikel: Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2023.12.030
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