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#Der Architekt Jean-Philippe Vassal

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Lieber umbauen als abreißen und neu bauen, lieber Bäume stehen lassen und um sie herumbauen: Der Architekt Jean-Philippe Vassal wird 70 Jahre alt.

Wer von Bordeaux auf der Route départementale 106 an den Atlantik nach Cap Ferret fährt, sieht zu seiner Linken zwischen den Pinien am Bassin d’Arcachon ein metallisch schillerndes Haus stehen – wobei „stehen“ das falsche Wort ist: Es scheint eher zu schweben oder in den Bäumen zu hängen.

Kommt man dem Grundstück näher, sieht man, dass es sich um ein durchwachsenes Haus handelt, was hier nicht metaphorisch, sondern wörtlich gemeint ist: Die Pinien wachsen durch das Haus hindurch, die Stämme scheinen den eingeschossigen Bungalow zu durchbohren. Natürlich waren sie schon dort, bevor das Haus gebaut wurde, und sie durften nicht abgesägt werden, weswegen das Grundstück lange als unbebaubar galt, bis 1998 zwei Architekten aus Bordeaux kamen und um die Stämme herum ein großzügig verglastes Haus bauten.

Sanierung von Sozialbauwohnungen

Jean-Philippe Vassal und seine Partnerin Anne Lacaton zeigten mit dem Haus am Bassin eindrucksvoll einen Teil jener Bauphilosophie, die die beiden zu Pionieren der nachhaltigen Architektur machte und ihnen schließlich 2021 den Pritzker-Preis einbrachte: lieber umbauen als abreißen und neu bauen, lieber Bäume stehen lassen und um sie herumbauen – was nebenbei das Erlebnis der Natur im Haus viel intensiver macht.

Aus einem trostlosen Sozialbau machten Lacaton und Vassal ein qualitätvolles Haus mit lichten Loggien.


Aus einem trostlosen Sozialbau machten Lacaton und Vassal ein qualitätvolles Haus mit lichten Loggien.
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Bild: Philippe Ruaul

Vielleicht war es seine frühe Erfahrung als Stadtplaner in Niger, die den 1954 in Casablanca geborenen Vassal für soziales Bauen mit einfachen Materialien sensibilisierte. Berühmt wurde er mit der Maison Latapie von 1993, die sich wie ein Manifest für ein anderes Bauen lesen lässt: Es ist kein luxuriöses Haus, im Gegenteil, eigentlich eine bescheidene Einfamilienhauskiste. Doch auf der Gartenseite dieser Kiste steht ein doppelgeschossiger Wintergarten im Gewächshausstil, der die Wohnfläche gefühlt verdoppelt.

Die Botschaft: Auch mit dem Gehalt eines Postboten kann man sich einen Palast leisten. Die billigen Materialien aus dem Industriebau wie etwa Polykarbonat-Doppelstegplatten setzten Lacaton und Vassal in den folgenden Jahren so ein, dass die Ergebnisse wie luxuriöse japanische Minimal-Art-Bauten aussahen. Zu einem wirklich politischen Konzept wurde dieser Ansatz, als das Duo in Paris die Tour Bois-le-Prêtre, ein Sozialbau-Hochhaus aus den Sechzigerjahren, das abgerissen werden sollte, stehen ließ, nur die trostlose Fassade mit den kleinen Lochfenstern abnahm und den Turm stattdessen mit einer luftig-verglasten zweiten Schicht von Wintergärten ummantelte. So wurden der Wohnraum erweitert, die Lebensqualität erhöht – und dazu fungiert der Wintergarten mit seinen dicken, metalldurchwirkten Gardinen auch als Dämmschicht.

Vor allem aber konnten die Bewohner, die zum Teil schon jahrzehntelang in dem Turm lebten, dort wohnen bleiben: Das sozial dichte Geflecht aus Nachbarschaften und Freundschaften wurde durch die Sanierung nicht auseinandergerissen. Der Umbau war nicht nur klimafreundlich, sondern half auch dem sozialen Zusammenhalt. In Bordeaux sanierten Lacaton und Vassal später 530 Sozialbauwohnungen nach dem gleichen Erfolgsrezept.

Neben einem erstaunlichen Gespür für die Schönheit des einfachen Materials und der rohen Form, die das Duo unter anderem beim Umbau des Pariser Palais de Tokyo und der Architekturschule von Nantes unter Beweis stellte, ist dies vielleicht Jean-Philippe Vassals größte Kunst: mit so wenigen Eingriffen wie möglich so viel formalen und sozialen Reichtum wie möglich zu schaffen. Am Mittwoch wird der Pionier einer leichteren, umwelt- und menschenfreundlicheren Architektur 70 Jahre alt.

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