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#Der Ausverkauf geht ungebremst weiter

„Der Ausverkauf geht ungebremst weiter“

Am 13. Mai, einem Freitag, standen 17 Mitglieder des Expeditionsteams von Lukas Furtenbach auf dem Gipfel des Mount Everest (8849 Meter). Alle 17 Mitglieder, wie der Bergreiseveranstalter auf Instagram hervorhob, Erfolgsquote: 100 Prozent. Noch bemerkenswerter aber war eine andere Zahl. Nur 16 Tage nach dem Aufbruch in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu erreichte die Gruppe den höchsten Punkt der Welt – während Everest-Aspiranten sich sonst über Wochen akklimatisieren. Furtenbachs Team hatte sich zu Hause durch Hypoxietraining vorbereitet, in einem Zelt unter eingeschränkter Sauerstoffzufuhr geschlafen. Am Berg wurde es von 27 Sherpas unterstützt und mit reichlich Flaschensauerstoff für jeden Teilnehmer. Kosten der Expedition pro Kunde: knapp 100.000 Euro.

Bernd Steinle

Redakteur im Ressort „Deutschland und die Welt“.

Furtenbachs sogenannte Flash-Expeditionen sind ein Resultat der Entwicklung des Bergsteigens am Everest, die Oliver Schulz in „8849“ beschreibt. Am Ende des Buchs verdeutlicht Furtenbach in einem Interview, wie er etwa zur Verwendung von Flaschensauerstoff beim Höhenbergsteigen steht. Die ist längst zum Symbol geworden für die Grundfrage des modernen Tourismus am Everest: Sollten wirklich alle verfügbaren technischen Hilfsmittel genutzt werden, um die höchsten Berge der Welt Menschen zugänglich zu machen, denen sie ohne solche Hilfen verschlossen wären? Furtenbachs Antwort ist eindeutig: „Es scheint tatsächlich keine andere Sportart zu geben, in der man sich derart vehement gegen Wissenschaft und technische Innovation verwehrt und sogar so weit geht, diese als ablehnenswert zu diskreditieren.“

Der fatale Ehrgeiz überforderter Hobbyalpinisten

Wie viel Tourismus verträgt der Mount Everest? Das ist eine der Fragen, denen Schulz nachgeht. Er tut es, indem er sich zunächst, in traditioneller Bergsteigerart, schrittweise herantastet, über Historie, spirituelle Bedeutung, wichtige Besteigungen, Rekorde. Wo die Reise hingeht, ist aber von Anfang an klar. „Massentourismus, Tod und Ausbeutung am Mount Everest“ lautet der Untertitel des Buchs, im reißerischen Klappentext ist vom „Irrsinn des gesamten internationalen Alpinismus“ die Rede, das Titelbild zeigt die berühmte Aufnahme des nepalesischen Alpinisten Nirmal Purja vom Mai 2019, auf der sich ein Bergsteigerwurm über Hunderte Meter den Grat zum Gipfel hochwindet. Wie viel Tourismus der Everest verträgt? Ganz sicher, suggeriert das, weniger als heute üblich.

Oliver Schulz: „8849“. Massentourismus, Tod und Ausbeutung am Mount Everest.


Oliver Schulz: „8849“. Massentourismus, Tod und Ausbeutung am Mount Everest.
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Bild: Westend Verlag

Schulz geht es weniger um die Faszination des Bergsteigens, um alpinistische Feinheiten, körperliche Grenzerfahrungen, überwältigendes Gipfelglück. Er konzentriert sich auf die Frage, wie das Geschäft der kommerziellen Expeditionen das Geschehen am Everest verwandelt hat – in einen „totalen touristischen Ausverkauf“. Die Belege, die er anführt, sind nicht von der Hand zu weisen: die Katastrophe am 10. Mai 1996 etwa, als acht Bergsteiger in einem Schneesturm starben, der fatale Ehrgeiz überforderter Hobbyalpinisten, das Müllproblem in den Lagern oder die Rolle der Sherpas, ohne die viele Expeditionen unmöglich wären, die große Risiken eingehen und trotzdem oft unzureichend entlohnt werden. Schulz erzählt von den Missständen detailreich, unterhaltsam, zuweilen fesselnd, er schöpft aus vielen Quellen und weckt Lust, sich mit einzelnen Aspekten genauer zu beschäftigen – weshalb man am Ende gerne eine Bibliographie durchforstet hätte, die leider fehlt.

Nur eine Trophäe für ehrgeizige Egozentriker?

„8849“ gibt einen guten Überblick über Geschichte und Gegenwart am Everest, drängende Probleme und Fehlentwicklungen. Wer Neues dazu sucht, wird aber kaum fündig. Neben den Interviews mit den Expeditionsveranstaltern Lukas Furtenbach und Mingma Sherpa bleiben an selbst Erlebtem nur Eindrücke einer Reise in die Khumbu-Region, am Fuße des Everest. Gerne hätte man mehr von solchen persönlichen Begegnungen und Schilderungen gelesen, aus dem Everest-Basislager etwa, das in der Hochsaison einer kleinen Stadt gleicht und die Auswüchse des Massentourismus gut hätte illustrieren können.

So fehlt in dem sonst sorgfältig zusammengetragenen Kompendium die Nähe zu Bergsteigern und Bergsteigen, das Interesse an der Frage, was Menschen dazu treibt, all die Unwägbarkeiten, Entbehrungen, Anstrengungen und Risiken, von Kosten ganz zu schweigen, in Kauf zu nehmen, nur um einen Berggipfel zu erreichen. Der Everest kommt oft nur als Trophäe für ehrgeizige Egozentriker vor, er sei „vor allem zu einer Kulisse verkommen“, schreibt Schulz. Solche Zuspitzungen werden den Dutzenden Bergsteigern nicht gerecht, die sich jedes Jahr tatsächlich gut trainiert und hinreichend erfahren am Everest ihren alpinistischen Lebenstraum erfüllen.

Lösungen für den Massentourismus? Sind schwierig. Einer Beschränkung der Besteigungsgenehmigungen oder schärferen Regeln zum alpinistischen Können stehen viele Interessen entgegen – die der nepalesischen Regierung, die auf Tourismuseinnahmen angewiesen ist (allein am Everest knapp 3,3 Millionen Dollar in diesem Frühjahr), die der Veranstalter, die vieler Einheimischer, die vom Expeditionsgeschäft leben, und die zahlender Kunden. „Die Chancen“, schließt Schulz, „dass Massentourismus und Sterben am Berg weitergehen, sind deshalb groß.“ Die vergangene Frühjahrssaison immerhin verlief glimpflich. Etwa 650 Besteigungen wurden von Nepal aus verzeichnet, drei Bergsteiger kamen am Everest ums Leben – keiner der drei Fälle hatte mit Staus in der Todeszone oder naivem Hurra-Alpinismus zu tun.

Oliver Schulz: „8849“. Massentourismus, Tod und Ausbeutung am Mount Everest. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2022. 192 S., br., 18,– €.

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