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#Der Bunker im Garten

Der Bunker im Garten

Dass das zentrale Bild dieses Romans so stark wirkt, mag für manche auch daran liegen, dass es filmisch vorgeprägt ist: Einen Familienvater, der im Garten einen Bunker baut, weil er einen surrealen Sturm heraufziehen sieht, hat uns vor zehn Jahren Jeff Nichols in seinem unheim­lichen Spielfilm „Take Shelter“ gezeigt. Der spielt in einer Kleinstadt in Ohio.

Die 1977 in Lübeck geborene Svealena Kutschke verlegt den Gartenbunker in eine norddeutsche Wohnsiedlung, und der Familienvater mit dem Durchschnitts­namen Martin Becker hat hier, 1989, konkretere Befürchtungen: „Ihr werdet schon sehen, was da noch so alles rüberkommt, wo die Mauer weg ist. Da kann ja jetzt jeder“ – hier bricht der Satz ab. Zudem sei Tschernobyl auch erst drei Jahre her, und „das lief hier noch glimpflich ab“, erklärt er Frau und Kindern. Bald wird der Familie klar, dass er es ernst meint und den Spaten ansetzt, Beton bestellt. Der Protest der Mutter – „aber der schöne Garten“ – klingt in Kutschkes trister Beschreibung der Szenerie bitter ironisch – natürlich, möchte man fast sagen, denn der Gegenwarts­roman, in dem die Bundesrepublik eine Idylle ist, muss wohl noch erfunden werden. Wie in Andreas Mosters vor kurzem erschienenen Roman „Kleine Paläste“, ist es ein Begriff der „BRD noir“, der sich in einem Bauwerk manifestiert, hier gar in einem unterirdischen. Wo der Vater einen „sicheren Unterschlupf“ plant, sehen die Kinder ein „lächerliches Loch im Garten“, das zudem bedrohlich wirkt.

Sarkastische Situationsbeschreibung

Um Bedrohung, imaginierte und reale, dreht sich das Buch. Als der Bunker Gestalt annimmt, laufen über den Familienfernseher bereits Bilder der fremdenfeindlichen Übergriffe und Attentate zu Beginn der neunziger Jahre. Der Tochter, die im Mittelpunkt der Erzählung steht, scheint es schon als damals Dreizehnjährige absurd, dass sich der Vater „in dieser friedlichen Siedlung am Rand der Welt“ in Gefahr sieht, obwohl „doch so deutlich war, dass die Gewalt ganz andere traf“.

Svealena Kutschke: „Gewittertiere“. Roman.


Svealena Kutschke: „Gewittertiere“. Roman.
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Bild: Claassen Verlag

Zwischen den Generationen liegt tiefes Unverständnis. Dass ein Kind im Vergleich zur offenbar traumatischen Nachkriegskindheit der Eltern überhaupt „einen Schmerz haben konnte“, erfüllt diese „mit erstauntem Ärger“. Aber Cornelia und Hannes haben sogar viel Schmerz, nicht nur in der Schule, fühlen sich in ihren Körpern nicht zu Hause. In Rückblenden auf ihre Schulzeit erfährt man von ihren ein­gebunkerten Gefühlen, die nach außen müssen. Aus Cornelia wird, als sie sich in eine Freundin verliebt, in dieser Zeit Colin. Hannes wird übergewichtig.

Als wäre das Leben eine Inszenierung

Etwas zu deutlich ist dem Roman manchmal die Analyse seiner dargestellten Welt in Erkenntnissätzen eingeschrieben, wo die literarische Darstellung genügt hätte. Seine Stärke liegt dafür in der perspektivierten Sicht der Figuren und bisweilen in sarkastischer Situationsbeschreibung, insbesondere in jenem Teil des Buches, der vom Erwachsenenleben der Kinder erzählt. Beide leben da in Berlin, Hannes als Gerichtsvollzieher, den seine Arbeit zugleich er­füllt und belastet. Colin lebt mit ihrer türkischstämmigen Freundin Eda zusammen und fühlt sich, nicht nur, weil man aus der vorbeifahrenden Bahn in die Wohnung sehen kann, oft wie in einer Theaterkulisse.

Der dem Menschen über den Kopf gestülpte Eimer seiner Kindheit, dessen Inhalt lebenslang an ihm herunterläuft, wie es bei Doderer heißt, gießt auch über Hannes und Colin noch beständig etwas aus. Für Colin ist die Prägung durch die Familie so stark, „als wäre Edas und ihr gemeinsames Leben eine Inszenierung“, an deren Ende sie wieder zu Hause bei den Eltern einziehen würde.

Ihrem Bruder ist sie weder besonders ähnlich noch innig verbunden – einmal heißt es, dass „alles, was man gemeinsam hatte, die Scham war“. Aber ein Suizidversuch von Hannes lässt Colin doch wieder engeren Kontakt zu ihm aufnehmen. Und setzt eine Dynamik in Gang, durch die der Roman in seinem letzten Drittel noch manche Überraschung parat hat, auch in der Auseinandersetzung mit den Eltern. Er handelt davon, wie man seinen Platz im Leben findet, sich von Herkunft, Zuschreibungen und vor allem verinnerlichten Regeln befreit. Colin wird so frei, ihr Geld bei der Arbeit in einem Späti zu verdienen und literarische Schreibversuche zu machen. So er­hält die Erzählung sogar noch eine Metaebene zur Gegenwartsliteratur und Vermarktung von Kunst. Das ist, neben der Familie, der fortlaufenden Gewaltgeschichte und Exkursen über Homophobie, viel Stoff für ein Buch. Aber Svea­lena Kutschke, die vor Kurzem den Hebbel-Preis erhalten hat, bewältigt ihn gut, vor allem in ihrer manchmal ironischen Darstellung von Berliner Szenen: ein Deutschland-Roman also, der eine weite Strecke zurücklegt.

Svealena Kutschke: „Gewittertiere“. Roman. Claassen Verlag, Berlin 2021. 360 S., geb., 24,– €.

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