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#Der Dichter als tanzendes Schiff

Der Dichter als tanzendes Schiff

Wer einen Roman verfilmen will, kann sich entweder so genau wie möglich an die Vorlage halten oder daraus eine eigene Geschichte machen, die sich von den Motiven des Stoffes inspirieren lässt. Der italienische Regisseur Pietro Marcello hat für seinen „Martin Eden“ einen dritten Weg gefunden. Die von Jack London erdachte Figur des Seemanns, der kurz vom Leben der Oberschicht kosten darf und beschließt, sich durch Bildung und schiere Willenskraft als Schriftsteller dort hinaufzuarbeiten, behält er bei. Wo der Schriftsteller London aber literarisch durchspielte, was passiert, wenn man seine künstlerische Vision aus den Augen verliert und dem in der amerikanischen Nationalideologie verankerten Streben nach Glück – hier: Ruhm – erliegt, da erzählt Marcello, was diese Geschichte für einen Europäer, einen Italiener aus dem Süden, bedeutet, der sie rund 90 Jahre nach ihrem Erscheinen 1909 zum ersten Mal gelesen hat. Dabei wagt er das Experiment, der Vorlage so treu wie möglich zu bleiben und sie gleichzeitig als Film zu etwas komplett Neuem und Eigenem zu machen.

Er holt Martin Eden dafür aus dem amerikanischen Oakland des frühen 19. Jahrhunderts nach Süditalien. Schon hier beginnt die schlaue Transformation der Hauptfigur: So wie London mit dem Ohr für Akzente die proletarische Herkunft seines Helden durch Slang-Ausdrücke und das umgangssprachliche Zusammenziehen von Wörtern markiert, so nuschelt der Schauspieler Luca Marinelli seinen Martin Eden mit den weichen Zischlauten des neapolitanischen Dialekts, was für italienische Ohren in etwa so distinguiert klingt wie breites Sächsisch hierzulande.

Marinelli ist einer der Gründe, warum aus dem Stoff kein steifes Historiendrama wurde. So viel Energie die Figur Eden ins Schreiben und das autodidaktische Studium der Bücher steckt, so hell brennt Marinellis Spiel von der Leinwand. Er schafft es, der Verliebtheit zur gutbürgerlichen Elena Orsini, die Eden anstachelt, aus seiner Klasse aufzusteigen, einen Schuss Verblendung zuzugeben, die für das Drama unerlässlich ist. Eden liebt nicht Elena, er liebt die Vorstellung davon, seiner Herkunft den Rücken zu kehren.

Ein Kräuseln auf der glatten Oberfläche

Luca Marinelli, der völlig zu Recht bei der Premiere des Films vor zwei Jahren auf dem Festival von Venedig den Preis als bester Darsteller gewann, spielt die Figur nicht einfach nur, er interpretiert sie dabei. Ihm genügt ein Sekundenbruchteil, um eine Nuance zu verschieben, ein Kräuseln auf der glatten Oberfläche anzuzeigen. Etwa in jenem Moment, wenn ihm die fürsorgliche Schneiderin Maria, die den aufstrebenden jungen Schriftsteller bei sich am Rande der Stadt aufnimmt, die Krawatte zurechtrückt. Eden will zu einem Fest auf dem Anwesen seiner Geliebten. Maria blickt ihm mütterlich in die Augen: „Ich hoffe, sie wissen, was sie an dir haben.“ Für eine Sekunde friert ihm sein hoffnungsvolles Lächeln ein; er weiß, dass sein Kampf um die Anerkennung der Gutsbesitzer ein verlorener ist.

Der unterschwellige Klassenkampf ist der zweite Punkt, in dem Marcello der Vorlage treu bleibt. London legte als überzeugter Sozialist eine philosophische Metaebene über seine Geschichte. Marcello arbeitet die Streitgespräche heraus, die Eden am reich gedeckten Tisch der Orsini über Sozialismus, Armut und Bildung führt, und rückt die Auseinandersetzung mit dem britischen Philosophen Herbert Spencer in den Mittelpunkt. Durch Zufall fallen seine Schriften, die Evolutionstheorie auf gesellschaftliche Entwicklung anwenden, Eden bei einem Pfandleiher in die Hände – die Idee vom Individuum, das den Kampf auf das Recht des Stärkeren austrägt, fasziniert ihn. Was er von nun an auf Gewerkschaftsdemonstrationen und vor streikenden Arbeitern erzählt, klingt manchmal stark nach Neoliberalismus, manchmal stark nach rechtspopulistischen Ideen. Marcello lässt das nicht unkommentiert, setzt einer Rede Edens per Montage Archivaufnahmen einer faschistischen Bücherverbrennung entgegen.

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