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#Der Held kämpft in der Zelle

Der Held kämpft in der Zelle

Die Heimkehr des russischen Korruptionsbekämpfers und Oppositionspolitikers Alexej Nawalnyj ist eine Blockbuster-Reality Show inklusive akuter Lebensgefahr für den Superhelden, die von Anfang an sorgfältig durchchoreographiert war. Dazu gehörte außer Nawalnyjs Anreise mit der Billigfluglinie mit dem symbolischen Namen „Pobeda“ (Sieg) schon das Zitat aus dem russischen Kultfilm „Bruder 2“ (Brat 2), das Julia Nawalnaja in einem Kurzvideo aus dem Flugzeug an das Publikum richtete: „Gib uns Wodka, Junge, wir fliegen nach Hause!“ In dem Film, der in der Banditenwelt der neunziger Jahre spielt, sagt das eine ebenfalls soeben in den Flieger eingestiegene Russin, die aus Amerika, wo sie anschaffen gehen musste, in ihr Land zurückkehrt, wissend, dass es sie hart anpacken wird.

Kerstin Holm

Kaum war Nawalnyj in Moskau gelandet, festgenommen und in einem „Gerichtsverfahren“ zu dreißig Tagen Haft verurteilt worden, veröffentlichte seine Stiftung zur Bekämpfung von Korruption eine zweistündige Dokumentation über den Werdegang von Präsident Putin, vor allem aber über seine riesige Palastanlage am Schwarzen Meer, über deren märchenhafte Größe und Kosten investigative Medien schon geschrieben hatten, ohne viel Konkretes mitteilen zu können. Was Nawalnyjs Rechercheteam mittels Drohnenkameraufnahmen und Architekturvisualisierung vorführt, stellt andere Megapaläste politischer Potentaten in den Schatten.

Das Video „Ein Palast für Putin“, das im Netz schon mehr als 21 Millionen Mal angeschaut wurde, zeigt ein hermetisch abgeriegeltes Grundstück, 39 Mal so groß wie das Fürstentum Monaco, mit Weinbergen, einer unterirdischen Hockeyhalle und einem Sicherheitstunnel, dem ein „Degustationszimmer“ mit Panoramablick angeschlossen ist. Der Hauptpalast, dessen Gittertor mit Doppeladler dem Petersburger Winterpalast nachempfunden ist, besitzt eine eigene Kirche, diverse Bäder, Saunen, aber auch ein Spielcasino, einen Raum mit Stripteasestange, und einen immerhin achtzehn Quadratmeter großen Lagerraum für „Dreck“, womit im Russischen Fango-Schlamm bezeichnet wird – was die Nutzer sozialer Medien besonders passend finden. Ausgestattet ist das Ganze mit speziell angefertigten italienischen Luxusmöbeln. Im Weingut finden sich eine goldene Klobürste und ein goldener Klopapierhalter für siebenhundert beziehungsweise tausend Euro. Leider hat Schimmel den Hauptpalast befallen, weshalb er inzwischen totalerneuert werden muss.

Weder Pathos, noch Opferwille, noch Fatalismus

Nawalnyj meldete sich unterdessen aus dem Moskauer Untersuchungsgefängnis namens „Matrosenstille“, von dem er schon viel gelesen habe, wie er sagt. Dass er nun dort eingesperrt sei, kommentierte er mit der philosophischen Formel „russisches Leben“, was auf die zeitlose Volksweisheit anspielt, in Russland sei niemand gegen Bettelstab und Kerker gefeit. Die Einzelzelle, in der er sich quarantänehalber befindet, ähnele dem Berliner Krankenzimmer, in dem er nach seiner Vergiftung vor einigen Monaten aus dem Koma erwacht sei, so Nawalnyj: Es stehe ein Eisenbett drin, man werde nicht rausgelassen, dafür würden ihm – noch! – keine Infusionszugänge gelegt, zudem werde in seiner Muttersprache geredet. Das sei ein großes Plus.

Absolutistische Pracht, von Schimmel befallen: der Hauptpalast von Präsident Putin am Schwarzen Meer


Absolutistische Pracht, von Schimmel befallen: der Hauptpalast von Präsident Putin am Schwarzen Meer
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Bild: Nawalny LIVE/Youtube/AP

Der Häftling erklärte abermals, er bedaure nicht, aus Deutschland zurückgekehrt zu sein. Er betonte, er habe diese Entscheidung rational getroffen, es liege weder Pathos darin, noch Opferwille, noch Fatalismus. Vielmehr weigere er sich, die Gesetzlosigkeit hinzunehmen, mit welche die Machtstrukturen sein Land überzögen, und die Lügen Putins und seiner Freunde. Diese Leute fürchteten allein Menschen, die diese Zustände nach Kräften bekämpften, weshalb Nawalnyj seine Landsleute aufrief, sich diesen anzuschließen. Das System antwortet mit sowjetischen Drohsignalen.

Selbst in Amerika auf Platz fünf der Twittertrends

Der Flughafen Wnukowo, wo Nawalnyjs „Pobeda“-Maschine landen sollte, hatte über Twitter verbreitet, man habe im Jahr 1941 Flugzeuge aus Deutschland „willkommen geheißen“ und werde das auch 2021 mit allen Flugzeugen tun. Im improvisierten Gerichtssaal der Polizeiwache, wo Nawalnyj zu dreißig Tagen Haft verurteilt wurde, prangte auf einer Tafel, die die Geschichte des russischen Innenministeriums vergegenwärtigt, das Porträt des Geheimdienstgenerals Genrich Jagoda (1891 bis 1938), der das GULag-System begründete. Ein solches Bekenntnis zur repressiven Tradition dürfte für Russlands Ordnungshüter heute typisch sein. Julia Nawalnaja meldete, sie werde von einem Polizeiwagen beschattet, der ständig vor ihrem Wohnhaus stehe. Unbemerkt sei das Säuberungsjahr 1937 angebrochen, so Nawalnaja.

Der Tag der Veröffentlichung des Videos fiel auf das orthodoxe Epiphaniasfest, an dem, wie Gläubige wissen, alle Gewässer reinigend wirken, weshalb viele Russen in eisigen Teichen oder Becken untertauchen, um ihre Sünden abzuwaschen. Das tat, wie jedes Jahr, auch Wladimir Putin. Dass er dabei eine blaue Badehose trug, erinnerte viele an Nawalnyjs ikonisch gewordene blaue Unterhose, die seine Attentäter in Tomsk mit dem Nervengift Nowitschok kontaminiert hatten. Ein Indiz, dass der Präsident versuchte, auch diese Sünde loszuwerden?

Nawalnyj habe alle Schablonen zerrissen und der Welt einen Helden gegeben, auf den sie gewartet habe, sagt der russische Publizist Kirill Rogow. Selbst in Amerika stehe er auf Platz fünf der Twittertrends, er sei ein umgekehrter Trump. Die Lage sei hochgefährlich, man müsse damit rechnen, dass die Mafia Nawalnyj tötet. Freilich sei allen klar, dass dann Putin nie mehr als derjenige erinnert würde, der die Krim „heimholte“, sondern nur als der, der Nawalnyj umbrachte, weil der von seinem Palast erzählte und von der goldenen Klobürste.

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