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#Der Hölle doch sehr zugeneigt

„Der Hölle doch sehr zugeneigt“

Eine madagassische Sage beginnt so: Gott und der Mensch waren unzertrennliche Gefährten. Eines Tages sagte Gott zum Menschen: Warum gehst du nicht eine Zeit lang fort und siehst dich auf der Erde um, damit wir neue Themen für unsere Gespräche finden? – Wir wissen allerdings nicht, wie diese Sage weitergeht. Es könnte aber sein, dass Gott darüber erheitert wäre, wie sehr sich die Menschen auf der Erde für madagassische Piratengeschichten interessieren. Denn solche erzählt das neue, aus dem Nachlass herausgegebene Buch von David Graeber. Während ein anderes Piratenbuch von Siegfried Kohlhammer eine geradezu entgegengesetzte Position einnimmt.

Piraterie ist ein sehr altes Gewerbe. Schon bei Cicero findet sich eine legendäre Verdammung der Piraten als „gemeinsamer Feind aller“ (communis hostis omnium). Sie führte zur Bekämpfung und letztendlichen Kriminalisierung des Piratenunwesens auf hoher See durch das Völkerrecht des neunzehnten Jahrhunderts: Die Pariser Seerechtsdeklaration von 1856 verbot die Kaperei. Genauso alt sind aber auch die sozialromantischen Erklärungen des Piratenlebens. Hier wurde piratische Freiheit durch Selbstorganisation gefeiert, und zwar als Gegenmodell zum modernen Staat als Zwangsanstalt westlicher Prägung – und das macht auch die Faszination für David Graeber aus.

Anarchisten und Dionysiker in der Nachfolge Nietzsches

Anstelle von obrigkeitlichem Zwang herrschte auf den Schiffen unter der Totenkopfflagge mutmaßlich solidarische Liberalität. Anstelle unfreier europäischer Gesellschaften, in denen fürstliche Autorität ständische Modelle von Ungleichheit immer engmaschiger normierte, ging es an Deck und unter Deck drastisch locker zu: Nüchternheit machte Männer verdächtig, (vermeintlich) freie Sexualität wurde praktiziert, die Sklaverei war abgeschafft. Die populären Abbilder dieses Narrativs werden im Kino aufbereitet.

David Graeber: „Piraten“. Auf der Suche nach der wahren Freiheit.


David Graeber: „Piraten“. Auf der Suche nach der wahren Freiheit.
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Bild: Klett-Cotta Verlag

Siegfried Kohlhammers schmales Büchlein, in nüchternes Schwarz gewandet (aber natürlich ohne Totenkopf), ist dagegen eine gepfefferte Polemik. Sein Zorn über die falsche piratische Sozialromantik ist so leidenschaftlich, dass er schon wieder amüsiert. Kohlhammer, freier Publizist und Übersetzer, hat allerlei Geschichtsbilder zusammengetragen, in denen die Piraten für seinen Geschmack moralisch zu gut wegkommen statt vom Seegerichtshof der Geschichte verurteilt zu werden.

Kohlhammer findet die Verdammung des Seeraubs ganz richtig, die Aufwertung der Seeräuber als Vorkämpfer für Freiheit und Gleichheit scheint ihm ganz verkehrt. Er identifiziert drei mutmaßliche Hauptvertreter piratophiler Ideologien – „Marxisten und Arbeiterbewegte, Anarchisten und Dionysiker in der Nachfolge Nietzsches“. Während das Buch am Anfang eine Breitseite nach der anderen auf Pappkameraden abfeuert, gewinnt es mit zunehmendem Verlauf doch an Differenziertheit. Ein Gutteil des Ärgers adressiert falsche Geschichtsbilder von Nichthistorikern; ein anderer politisiert in überschießender Weise Piratenfolklore, die so viel intellektuelle Aufwertung gar nicht verdient.

Welch ein Etikettenschwindel!

Interessanter ist die Einbettung der Piraten in eine vormoderne Gewaltgeschichte und insbesondere in Kolonialismus und Imperialismus. Denn illegale Piraterie und legale Staatsgewalt waren keineswegs immer ein Gegensatzpaar. Vormoderne Obrigkeiten statteten Kapitäne mit Kaperbriefen aus. Die Freibeuter der Meere waren insofern teils autonome, auf Gewinn erpichte Unternehmer. Teils waren sie aber auch ein Instrument staatlich gedeckter, gewaltsamer Selbsthilfe auf hoher See, analog den mittlerweile verpönten völkerrechtlichen Repressalien, und sie unterstützten imperiale und koloniale Herrschaftsansprüche. In der Nacherzählung dieser Ambivalenz stützt sich Kohlhammer auf Geschichtsforschung, die er um des Streites willen ins Unrecht zu setzen versucht.

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