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#Der Intendant als Galerist

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Der Intendant als Galerist

Drastisch ausgedrückt, ist der eben von Bürgermeister und Kultursenator Klaus Lederer (Linkspartei) berufene Choreograph Christian Spuck so geeignet, das Staatsballett Berlin zu führen, wie Justin Bieber, das Amt des Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker auszufüllen. Bieber kann Noten lesen. Spuck kann Fragmente des bildungsbürgerlichen Kanons so in seine repetitive, oberflächliche, robert-wilson-bloß-schneller-hafte postmodern schicke Ästhetik verpacken, dass, wer nicht genau hinguckt, das für zeitgenössischen Tanz hält. Für tief, womöglich, für Handlungsballett.

Zwanzig Jahre ist es her, dass das Stuttgarter Ballett den 1995 in die Company aufgenommenen Tänzer zum Haus-Choreographen ernannte. Damals begann Spuck, bekannte Titel des Schauspiel- und Opernrepertoires wegzuchoreographieren. Fin de siècle: Wedekinds „Lulu“. Romantik: E.T.A. Hoffmanns „Sandmann“ und sein „Fräulein von S.“, Büchners „Woyzeck“, „Don Q(uichote)“, „Falstaff“, „Orpheus“, „Winterreise“ und demnächst, am Ausgang seines zehnjährigen Schaffens als Zürcher Nachfolger von Ballettdirektor Heinz Spoerli, ein Monteverdi-Abend. Das klingt eklektizistisch? Das sieht sich auch auf der Bühne überraschend choreographisch ähnlich.

Was heißt Spucks Berufung für Berlin?

Wie Marco Goecke, der ebenfalls als Stuttgarter Hauschoreograph begann, es von 2005 bis 2018 blieb und 2019 in Hannover zum ersten Mal eine Ballettdirektorenposition übernahm, sah auch Spuck lange aus wie der bestellte und nicht abgeholte Prinz. Spoerli gab Zürich erst 2012 im Alter von 72 Jahren auf. Betrachtet man die kommende Spielzeit Spucks in Zürich, dann fällt auf, dass neben seinen eigenen Werken nur Stücke zeitgenössischer Choreographen auf dem Spielplan stehen. Unter ihnen sind bekannte Namen wie Crystal Pite, die ihre schwarm- und haufenbildenden Tänzerformationen auch schon an der Pariser Oper bildete. Für Zürich ging es mit Spuck ähnlich weiter wie zuvor mit Spoerli.

Was heißt das für Berlin? Wenn an einem Haus wie Zürich das Repertoire des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts nicht vorkommt, muss es ja nicht heißen, dass der Einundfűnfzigjährige auch in Berlin nur Spuck and Friends tanzt. Sollte es doch so sein, wäre das ein Skandal für eine Compagnie wie das Staatsballett. Dann könnte man sich den von Lederer beschworenen Anschluss an die Ballettwelt abschminken. In jedem Fall ist es ein Problem, wenn ein Ballettdirektor das entsprechende Repertoire selbst kaum kennt. Spuck hat nur bei Jan Lauwers, Anne Teresa de Keersmaeker und dem Stuttgarter Ballett nach John Cranko getanzt, hat kaum an Häusern, mit Ballerinen und Choreographen gearbeitet, die ihn mit unterschiedlichsten historischen Stilen und Techniken hätten vertraut werden lassen. Man kann sich das aber nicht eben so draufschaffen. Man muss sich sein ganzes Tänzer- und Direktorenleben brennend dafür interessieren und sich damit beschäftigen. Nichts in Spucks Biographie deutet darauf hin.

Berlins Kultursenator und seine Beratungsjury haben eine Auffassung vom Staatsballett, die ihnen in der Oper oder im Konzertbetrieb um die Ohren fliegen würde. Wie oft muss man das Wort Repertoire im Tanz noch buchstabieren, damit es nicht mehr wie ein Schimpfwort klingt? Wie oft muss man den Verantwortlichen noch Reclams Ballettlexikon vorlesen von A bis Z, damit sie lernen, dass Choreographien von Merce Cunningham und Frederick Ashton, Trisha Brown und Antony Tudor, Deborah Hay oder Ninette de Valois, von Bronislava Nijinska, Léonide Massine und Michel Fokine, von George Balanchine und August Bournonville das Repertoire einer Kunst bilden, die nicht nur Gegenwart ist, sondern eine reiche Tradition und Vergangenheit hat.

Ein Ballettensemble darf kein Museum sein, heißt es dann immer. Nein, aber es darf auch keine Galerie sein. Die ältere und jüngste Tanzgeschichte kennt Choreographen, die Klassiker sind wie Mozart und Mahler in der Musik. Und wie in der Musik hat das Publikum ein Recht darauf, diese kennenzulernen. In Deutschland ist dann das Bayerische Staatsballett das letzte Ensemble, an das das Publikum diesen Anspruch überhaupt noch richten kann. Das ist für die Tanzkunst eine Katastrophe.

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