Charles Bahr ist seit einigen Tagen 20 Jahre alt und hat das Berufsleben eigentlich durchgespielt. Er hat Start-ups gegründet und verlassen. Er hat bis November anderthalb Jahre bei dem Techgiganten Tiktok gearbeitet und streitet sich gerade juristisch mit dem chinesischen Social-Media-Konzern, plaudert unangenehme Interna aus und ist für die umstrittene Plattform ein ziemliches Risiko. Seit ein paar Wochen arbeitet er nun für eine etablierte Werbeagentur. Andere in seinem Alter sind Jahre davon entfernt, die erste Bewerbung zu verschicken. Die Karriere des Charles Bahr hat schon jetzt mehr Wendungen als ein durchschnittlicher Berufsweg bis zur Rente.

Vieles an Bahr ist widersprüchlich. Er wirkt schüchtern, zurückhaltend, fast zart, wenn man ihn trifft – und sucht dennoch mit Macht die Öffentlichkeit. Er postet Selfies mit dem damaligen „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt – und freut sich über dessen Rausschmiss. Er macht Wochenendtrips nach Nizza, fliegt gern Privatjet – und ist SPD-Mitglied. Er ist mit Influencern befreundet – und berichtet, wie der Tiktok-Konsum ihm mental zusetzt. Er isst mit Politikern zu Abend – und wohnt noch bei seiner Mutter. Auch wenn sich das demnächst ändern könnte, sagt er. Seine Mutter sei Impfgegnerin, Bahr veröffentlicht Tiktok-Videos, in denen er zur Impfung aufruft. Mit seinem Vater hat er sich vor Jahren vor Gericht gestritten, weil der ihn nicht unterstützt hat und darauf bestand, dass sein Sohn Abitur macht.