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#Der Klang des Heimwehs

Der Klang des Heimwehs

Vor elf Jahren brachte die ebenso geschmackssichere wie ausdrucksstarke polnische Pianistin Ewa Kupiec eine CD heraus, die der Musik von Fryderyk Chopin gewidmet war. Sie trug den polnischen Titel „Żal“. Das Wort kann viel bedeuten: Bedauern, Kummer, Enttäuschung, herbe Trauer. Chopin selbst beschrieb damit den Grundton seiner Musik, zugleich sein kompliziertes Verhältnis zur polnischen Heimat, die er mit zwanzig Jahren verlassen hatte. In „Żal“ schwingt bei Chopin die Trauer über den Verlust von Heimat und der Ingrimm über die Erniedrigung Polens mit, aber auch die Verachtung für die geistige Enge innerhalb Polens und unterhalb der Polen. Sein Gefährte im Pariser Exil, der Dichter Adam Mickiewicz, hatte sein Verhältnis zu den polnischen Landsleuten auf die Formel gebracht: „Alles für euch, nichts mit euch“.

Nun taucht „Żal“ erneut als Titel einer CD auf, vom Label Sony Classical ohne das entsprechende polnische Sonderzeichen geschrieben. Es ist ein Album, das der französische Pianist Lucas Debargue, künstlerisch eigenwillig und hochbegabt, menschlich mit oft seltsamen Ansichten, gemeinsam mit dem lettischen Geiger Gidon Kremer und dessen Kammerorchester, der Kremerata Baltica, dem polnischen Komponisten und Pianisten Miłosz Magin gewidmet hat. Magin wurde 1929 in Łódż geboren und starb 1999 in Paris, wo er die meiste Zeit seines Lebens verbracht hatte. Debargue habe, so schreibt er im Begleitheft, Magins Musik durch seine erste Klavierlehrerin Christine Muenier kennengelernt.


Bild: laboiteamusique.eu

Dass Muenier in den Erinnerungen dieses Pianisten so freundlich bedacht wird, ist bemerkenswert. In seinen früheren Interviews war Debargue, der im Sommer 2015 den vierten Platz beim Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb belegt hatte, auf Frankreich und dessen Klaviertradition nicht gut zu sprechen. Wie ein von Dostojewski geschulter Agent sang Debargue das Lob russischer Herzensgüte und Seelentiefe und schaute jahrelang voller Verachtung auf seine eigene westliche Herkunft herab. Nun weiß man, dass seine Lehrerin Rena Schereschewskaja, die ihn zur Moskauer Prominenz gebracht hatte, offenbar zu starken Einfluss auf die weitere Karriereplanung ihres Schützlings nehmen wollte, weshalb er zunehmend auf Distanz zu ihr geht.

Die ebenso französisch wie polnisch gefärbte Musik von Magin, die Debargue jetzt aufgenommen hat, ist typisch für jene Art von Kunst, die nun als „zeitgenössisch“ gilt und in das Vakuum dringt, das die Avantgarden mit ihrem international style, der Herkunft bewusst ausradiert hatte, hinterlassen haben. Auch die Pianisten Daniil Trifonov, Michail Pletnjow und Jewgeni Kissin schreiben solche Musik; Debargue selbst deutet an, es ihnen nachtun zu wollen. Es ist tonale, nostalgische Musik, die da wieder anzusetzen sucht, wo Rachmaninow, Prokofjew oder Poulenc aufgehört haben: Musik der Nostalgie also und der Ausflüchte vor allem, was seitdem geschehen ist. Das „Concerto rustico“ für Violine, Streicher und Pauken beginnt wie neoklassizistischer Prokofjew, in den ein hinreißender Chansonschreiber schmerzstillende Träume montiert hat, bevor die Motorik des Tatkraftzwangs wieder losbricht. Das alles im Charakter eines polnischen Tanzes, des Krakowiaks. Käme solch ein optimistischer Folklorismus aus der Sowjetunion, würde man von „Komponistenverbandsmusik“ sprechen.

Magin ist da am besten, wo er wie Francis Poulenc in dessen „Improvisa­tions“ ans Chanson anknüpft oder an die Musik von Maurice Ravel und Gabriel Fauré. Das einleitende Andante für Violine und Klavier von 1963 ist ein ergreifendes Stück von nach innen verblutender Traurigkeit, wie ein Testament des jung im Krieg gefallenen Jehan Alain. De­bargue und Kremer spielen diese Musik auch mit einer feinnervigen Kühle des Anstands, die vor der übergriffigen Aneignung durch Sentimentalität zurückschreckt.

Diese CD ist symptomatisch für eine mit sich selbst unglückliche Gegenwart und darin unbedingt ernst zu nehmen: Sie erzählt – wenn auch etwas bequem – von modernen Entheimatungserfahrungen und der Unfähigkeit, im musikalischen Nirgendwo Geborgenheit zu finden. So sehnt man sich hilflos nach der Süße von gestern.

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