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#Der Mann ist ja völlig kahl

Der Mann ist ja völlig kahl

Mit der Kanonisierung ist die Totenruhe meist dahin. Das gilt für die Glaubenszeugen der Kirche ebenso wie für weltliche Kultur- und Identitätsstifter. Aus der Verehrung resultiert der Wunsch nach dauerhafter Bewahrung und Schau ihrer körperlichen Reste. Dem Topos der Unverweslichkeit „heiligen“ Fleisches, den schon Giorgio Vasari auf Michelangelos Leichnam übertrug, entspricht ein tradiertes präparatorisches Wissen, wie sich zuletzt bei der Aufbahrung des Seligen Carlo Acutis gezeigt hat. Die vor einem halben Jahrhundert in Weimar vollzogene Konservierung der Gebeine Goethes ist kulturhistorisch kein Sonderfall.

So wurde Joseph Haydns Schädel 1809 aus dem noch frischen Grab entwendet. Das Präparat war lange im Museum der Gesellschaft der Musikfreunde ausgestellt; eine Zusammenführung mit dem 1820 nach Eisenstadt translozierten Skelett gelang erst 1954. In Weimar barg Carl Leberecht Schwabe 1826 Schillers Schädel aus dem „Chaos von Moder und Fäulnis“ des Kassengewölbes und legte damit den Grundstein für den fast zwei Jahrhunderte währenden Streit über die Echtheit der Reliquie. Nach Provisorien in Goethes Arbeitszimmer und der großherzoglichen Bibliothek gelangten die Überreste schließlich in die Fürstengruft.

Goethe und Schiller durch den Luftkrieg in Gefahr

Hier liegen Goethe und Schiller nun in schlichten Eichensärgen. In seiner Rede zum Goethejahr 1932 pries Julius Petersen, Präsident der Goethe-Gesellschaft von 1926 bis 1938, den Ort als „magnetischen Pol alles Menschengedenkens“. Wenige Jahre später war die Fürstengruft durch den Luftkrieg über Deutschland existentiell bedroht. In fatalistischem Trotz sprach sich die Goethe-Gesellschaft gegen eine Evakuierung aus – notfalls sollte eben der Trümmerhügel mit einer Inschrift versehen werden. Das formal zuständige Herzogshaus stimmte dem Abtransport der Dichtersärge unter der Bedingung ihrer späteren Rückkehr zu, bat aber vergeblich um die zusätzliche Bergung Carl Augusts.

Nur das beherzte Eingreifen des Arztes Werner Knye verhinderte im April 1945 die geplante Zerstörung der in einem Sanitätsbunker in Jena eingelagerten Särge; die „Heiligtümer der Nation“ sollten auf keinen Fall dem Feind in die Hände fallen. Für die amerikanische Armee war es indes eine „Ehrensache“, die Toten mit (wenn auch bescheidenem) militärischem Prunk an ihren angestammten Platz zurückzubefördern, statt sie zu rauben. Nach dem Besatzungswechsel im Juli legten die Russen ebenfalls Kränze nieder und demonstrierten damit, dass „die Rote Armee Kulturwerte nicht vernichtet, sondern zu schützen gewillt ist“.

Indizien für eine frühere Sargöffnung

Mutmaßlich sind es aber gerade jene Kriegswirren, in denen die Gebeine zu Schaden kamen. Schon Fritz Donges, dessen Schillerbüste 1943 auf der Großen Deutschen Kunstausstellung zu sehen war, vermutete, dass eine Öffnung der Särge stattgefunden hatte, und bat 1947 um Akteneinsicht. In der Tat gibt es Indizien für einen solchen Eingriff. Die Schlösser von Goethes Sarg weisen Hebelspuren auf, und es fehlen insgesamt fünf Hand- und Fußknöchelchen. Vor allem aber wurde die in den Holzsarg eingearbeitete Metallauskleidung mit groben Schnitten geöffnet. Das ist insofern dramatisch, als eine solche Kapsel nicht nur der Abdichtung nach außen dient, sondern auch den Prozess der Zersetzung verlangsamt.

Die sozial herausgehobene Form der Gruftbestattung bringt Herausforderungen mit sich, über die man selten spricht: Särge, die für das Publikum dauerhaft zugänglich sind, bedürfen der Pflege. Für die Weimarer Fürstengruft sind daher seit den fünfziger Jahren zahlreiche Konservierungsmaßnahmen belegt. Im Schillerjahr 1959 bemerkte man Fäulnis am Sarg des Jubilars, der mit dem Holzschutzmittel Xylamon gut beizukommen war. Bei der Gelegenheit wurden die schon 1826 aufbereiteten Knochen ein zweites Mal konserviert und auf synthetische Textilien gebettet.

Als Michail Gerassimow 1961 aus Moskau anreiste, um eine Gesichtsrekonstruktion auf der Grundlage von Schillers Schädel anzufertigen, inspizierten die versammelten Experten auch Goethes Leichnam. Mit seinem gelbseidenen Totenhemd, der teilweise mumifizierten Haut und dem von Insekten kahlgefressenen Schädel bot der Dichter einen beeindruckenden Anblick.

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