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#Der Mensch, das arme Idealisierungsmaschinchen

Gerne fragen sich die im Bewusstsein ihrer Epochenwende lebenden Figuren Anton Tschechows bekanntlich, was die Nachwelt einmal über sie denken wird. Meist schwant ihnen dabei, wie auch im von Tomi Janežič nun mit dem Ensemble des State Small Theatre aus Vilnius aufgeführten Klassiker „Onkel Wanja“, nichts Gutes: Zu sehr sind sie gefangen in der eigenen Trägheit, zu spät werden sie sich der Konsequenzen ihrer falschen Idealisierungen bewusst. Das gilt zuvorderst für den titelgebenden Wanja (Arūnas Sakalauskas), der nach 25 Jahren der Schufterei auf dem Landgut eines von ihm lange bewunderten Professors feststellt, dass er sein Leben und seine Kraft für einen Scharlatan hingegeben hat. Nicht besser ergeht es seiner zweiten jungen Ehefrau Elena (Indrė Patkauskaitė) sowie seiner Tochter Sonja (Ilona Kvietkutė): Während Erstere an ihrem viel zu alten Gatten nichts mehr findet, leidet Letztere an ihrer unerwiderten Liebe zum eigentlichen Protagonisten des Stücks, dem Landarzt Astrow.

Diesen spielt Martynas Nedzinskas mit Vokuhila und Lederjacke in einer so hinreißenden Mischung aus stoischer Nüchternheit und periodischen Gefühlsausbrüchen, dass man ihn sofort für eine Rolle in einem Kaurismäki-Film nominieren möchte. Überhaupt liegt über dem Geschehen eine postheroische Aura, für die Bowies „Heroes“ die einführende musikalische Rahmung liefert: In der rückständigen russischen Provinz der Jahrhundertwende gibt es für niemanden wirklich etwas zu gewinnen, zumal alle viel zu müde oder zu betrunken sind, um ernsthaft an Aufbruch zu denken. Dies gilt insbesondere für das männliche Personal, das selbst vom wandernden Spotlight konstant falsch beleuchtet oder gleich ganz in den Schatten gestellt wird.

Komik und gelegentlich aufwallende Dramatik halten sich in Janežičs Inszenierung wunderbar die Waage, selbst wenn zwischendurch mal gerauft wird oder Wanja zwei Pistolenschüsse abfeuert, die natürlich ihr Ziel verfehlen. Durchweg findet der slowenische Regisseur passende Bilder und vor allem einen hervorragenden Rhythmus für die Tschechow’sche Ereignis- und Ergebnislosigkeit. Dafür nimmt er sich in der über vier Stunden langen Inszenierung reichlich Zeit, die es auch braucht, um das großartig harmonierende Ensemble in Ruhe ausspielen zu lassen.

Zeitgenössische, gewaltvolle Weltliteratur

Es ist ein Theater ohne Effektzwang mit fein komponierten Szenen, welches die ganze Faszination für das Nichtereignishafte und das nur dezent Angedeutete bei Tschechow zu transportieren weiß. Auf der kahlen, mit Pressspan ausgekleideten und nur ein paar abgewohnten Möbeln bestückten Bühne lässt Janežič dadurch die historischen Dimensionen des Originals geschickt zurücktreten hinter die zeitlose Darstellung des Menschen als tragikomisch scheiternde Idealisierungsmaschine.

Radikal zeitgenössisch hingegen geht es in der Festwochen-Weltpremiere von „La obra“ zu, dem Beitrag des argentinischen Dramatikers Mariano Pensotti. Der bedient sich für sein Stück eines Themas, das sich Autoren wie W. G. Sebald und Roberto Bolaño vor mehr als einem Vierteljahrhundert erschlossen haben, die noch immer, wie Pensotti beweist, weiterhin verlässlich Epigonen erzeugen. Die Rede ist von einer Art „Post-Holocaust-Weltliteratur“, die nach einer mehr oder weniger fixen Rezeptur verfährt. Man nehme: eine mysteriöse Figur mit undurchsichtiger Weltkriegsvergangenheit, einen detektivisch gestimmten Erzähler, einen raunenden Grundton sowie die Verschaltung einiger Momente der globalen Gewaltgeschichte der Moderne und würze dies alles noch mit einer Prise Mise en abyme und reichlich doku-fiktionalem Schmuckwerk.

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