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#Der Papst und die vermissten Kinder

„Der Papst und die vermissten Kinder“

Ein langer Flur führt in den Mädchentrakt: grauer Vinylboden, weiße Holzdecke, die Wände grellgelb gestrichen. Es riecht nach Putzmittel. Eigentlich alles wie früher, sagt Evelyn Camille. Am Ende des Ganges hätten sich seinerzeit die Schlafsäle der Schülerinnen befunden.

Majid Sattar

Politischer Korrespondent für Nordamerika mit Sitz in Washington.

Wenn Gefahr drohte, fingen die Mädchen an zu flüstern: „Stelek re 7weyelkst.“ Die 83 Jahre alte Frau wechselt ins Shuswap. Dann übersetzt sie: „Vorsicht, die Schwarzroben kommen“ (die 7 steht für einen Knacklaut). Eine kurze Warnung – und alle seien still gewesen.

Die Kinder fürchteten die Nonnen. Jeder Regelverstoß sei mit Schlägen geahndet worden. Mit schallenden Ohrfeigen. Mit Stockhieben. Oder durch Züchtigung mit dem Ledergürtel.

Shuswap zu sprechen, die Sprache der Secwepemc, der Ureinwohner im Süden der kanadischen Westprovinz British Columbia, war ein solcher Regelverstoß. Die Kinder der Kamloops Residential School sollten umerzogen werden: Sprache, Kultur und Traditionen der Vorfahren mussten die Schüler hinter sich lassen. Es galt, sich an die christliche Zivilisation anzupassen. Die katholische Kirche erledigte das im Auftrag des kanadischen Staates.

Die ehemalige Residential School in Kamloops, heute Sitz der Reservatsverwaltung. Im Vordergrund erinnern Kinderschuhe und Spielzeug an vermisste Kinder.


Die ehemalige Residential School in Kamloops, heute Sitz der Reservatsverwaltung. Im Vordergrund erinnern Kinderschuhe und Spielzeug an vermisste Kinder.
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Bild: Reuters

Als Camille mit sechs Jahren an die Residential School kam, sprach sie kein Wort Englisch. Nur Shuswap. Genau wie ihre Geschwister, die ebenfalls auf das Internat gingen. Man hatte die Kinder der Großfamilie entrissen. Eltern, Großeltern, Onkel und Tanten wohnten in einem Reservat 60 Kilometer entfernt. Und die Geschwister, darauf achteten die Nonnen sehr, durften untereinander keinen Kontakt haben.

Nur ganz selten, an Weihnachten etwa, ging es nach Hause. Mit einem Viehtransporter habe man die Kinder auf ihr Reservat gefahren. Zehn Jahre, von 1945 bis 1955, war Camille in dem Internat. Mit Sechzehn verließ sie die Schule. Sie hätte noch zwei Jahre länger bleiben können. Doch sie wollte nichts wie weg aus dieser Hölle.

Camille zeigt im Keller den alten Speisesaal und die große Küche, in der die Schüler das Geschirr spülen mussten. Den Räumen weiter hinten im Keller will sie sich nicht nähern. Sie hatte das Glück, als Schülerin nie dort hineingeführt worden zu sein.

Draußen vor dem Schulgebäude zeigt Camille auf eine Wiese und ein abgesperrtes Gelände am Fluss. „Betreten verboten“ steht auf dem Schild der Reservatsverwaltung von Kamloops, die inzwischen ihren Sitz in dem ehemaligen Schulgebäude hat. „Früher stand da unten eine kleine Plantage“, erinnert sich Camille. Da seien sie und ihre Freundinnen häufig hin, um Äpfel zu klauen. Doch habe der Ort etwas Seltsames gehabt.

Evelyn Camille vor dem Gedenkstein der Kamloops Residential School, der an die toten und misshandelten Schüler erinnert.


Evelyn Camille vor dem Gedenkstein der Kamloops Residential School, der an die toten und misshandelten Schüler erinnert.
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Bild: AFP

Irgendetwas habe nicht gestimmt. Nach den heimlichen Abstechern zum Fluss hätten sich die Schülerinnen untereinander ausgetauscht: „Hast du das auch gespürt?“ Es habe sie gegruselt.

Kamloops war die größte der rund 140 Residential Schools in Kanada, betrieben von der Ordensgemeinschaft der Oblaten der Unbefleckten Jungfrau Maria. Die meisten Schulen waren katholisch, es gab aber auch anglikanische, unierte oder presbyterianisch geführte.

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