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#Der unbekannte Andy Warhol

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Der unbekannte Andy Warhol

Von wegen „Fünfzehn Minuten Ruhm“ für jeden – für die Kunstwerke der Kölner Schau „Andy Warhol now“ bräuchte man Tage. Im ersten Raum wird man mit den 550 „Screen Tests“ konfrontiert, denen sich alle in sein Atelier Kommende unterziehen mussten: drei Minuten möglichst regungs- und ansprachelos in die Kamera blicken, so dass sich schnell die Spreu schied zwischen professionellen Maskenträgern wie Dennis Hopper, der ein ungerührtes Pokerface zeigt, und Kameraungeübten, denen im verzweifelten Versuch des Nichtzwinkerns die Augen zu tränen beginnen. Zu diesen 1650 Minuten Demaskierung kommen viele der oft fünf- oder achtstündigen Filme Warhols sowie im letzten Saal – zu einem Kreis im Zentrum arrangiert – tagelanges Material von „Andy Warhol’s TV“, in dem Stars (wie Modemacher oder Sänger) und solche, die es werden wollten, über Gott und die Welt räsonieren.

Stefan Trinks

Die Aufzählung zeigt zweierlei: Es existiert kein Medium, das er nicht genutzt hätte oder wie Musikvideos (mit der Band „Curiosity Killed the Cat“) und Fernsehen erst noch für künstlerische Nutzung in Form gebracht hätte. Es ist daher keine Binse, wenn man konstatiert, dass Warhol – wäre er nicht 1987 nur achtundfünfzigjährig gestorben – heutige Social Media wie Facebook oder Instagram massiv geprägt, wo nicht erfunden hätte. Oder vielleicht auch im Gegenteil – er hätte sie gemieden und völlig Entgegengesetztes propagiert. Zweitens: Er spielt lebenslang mit dem hohen Einsatz seines Lebens gegen die Bank – die Zeit. Wie bei Rembrandt sind die zahllosen Selbstporträts und -befragungen der Panik vor dem Sterben und der Vanitas geschuldet, weshalb er wirklich alles in seinem Leben aufzeichnet und der nicht gemalte oder gefilmte Rest in den sechshundert sogenannten „Time Capsules“-Kisten für alle Ewigkeit aufbewahrt wird.

Hängt zurecht in Köln im „Desaster Room“ mit menschlichem Leid und Katastrophen: Warhols „Jackie Triptych“ von 1964, in dem er die dreiteilige Form eines mittelalterlichen Altars mit Märtyrerdarstellung aufgreift.


Hängt zurecht in Köln im „Desaster Room“ mit menschlichem Leid und Katastrophen: Warhols „Jackie Triptych“ von 1964, in dem er die dreiteilige Form eines mittelalterlichen Altars mit Märtyrerdarstellung aufgreift.
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Bild: Museum Ludwig Köln

Tod ist Schlafes und Sexus´ Bruder

Bewusst liegt der Fokus der Schau daher auf nur drei Aspekten: Warhols Homosexualität, seinem anhaltenden Bewusstsein, als Migrantenkind zusätzlich marginalisierter Außenseiter zu sein, sowie seiner fixen Beschäftigung mit dem Tod, verstärkt durch die tiefe Religiosität des Künstlers. Durch etliche selten gezeigte Werke und Performances wird das lebenslange Coming-out und Coming-of-Age des Stil-Chamäleons Warhol klarer, der damit dennoch seinem Zeitalter den Stempel aufprägte.

Wer nun gelangweilt abwinkt und die hundertste Warhol-Schau vermutet, wird schon im ersten großen Saal eines Besseren allein durch die geschickte Hängung belehrt. Im bewegten Film-„Gemälde“ „Sleep“ von 1963 wird Warhols Geliebter John Giorno über fünf Stunden im Schlaf gezeigt. Auch hier fallen wie in den „Screen Tests“ die Masken in der Freudschen Zone des Unbewussten, die Warhol weit stärker beschäftigte als bislang untersucht: Teils nimmt der tiefschlafende Giorno unschuldige Positionen wie ein Embryo ein, teils sexualisierte wie der antike „Barberinische Faun“ in lasziver Haltung. Vor allem aber wird man im von Warhol geschnittenen Film plötzlich einer Einstellung gewahr, die Giorno als Mantegnas in Untersicht stark verkürzten toten Renaissance-Christus unter einem Leinentuch zeigt. Zwar hat er den Schlafenden nicht dergestalt drapiert, dennoch ist die Untersicht seiner Kamera hier augenscheinlich gezielt eingesetzt, um ein bestimmtes Bild zu erzeugen. Dass es bewusste Setzungen sind, zeigen auch die beiden Separées neben dem Saal, in denen seine freizügig homophilen Zeichnungen zum Teil erstmals seit 1954 wieder zu sehen sind, da er sie aufgrund wütender Reaktionen zurückzog und über ein Jahrzehnt lang nur noch anderes malte. Hier wimmelt es von „Reclining Nudes“ und „Resting Boys“ in der freizügig unschuldigen Schlafhaltung des „Barberinischen Fauns“, die mit stupend sicherem Strich des ausgebildeten Graphikers des öfteren auf einen Großteil der Kontur verzichten, um das Vervollständigen des Bildes der Betrachterphantasie zu überlassen.

Dem Vorwurf des „Bildtapezierers“ souverän den Wind aus den Segeln genommen: In der legendären Installation des Jahres 1966 tapezierte Warhol die New Yorker Galeriewände Leo Castellis mit Kühen und betätigte sich zugleich als Skulpteur der Schwerelosigkeit - die federleichten Luftkissen seiner „Silver Clouds“ durfte und sollte man berühren, um sie zum Schweben zu bringen.


Dem Vorwurf des „Bildtapezierers“ souverän den Wind aus den Segeln genommen: In der legendären Installation des Jahres 1966 tapezierte Warhol die New Yorker Galeriewände Leo Castellis mit Kühen und betätigte sich zugleich als Skulpteur der Schwerelosigkeit – die federleichten Luftkissen seiner „Silver Clouds“ durfte und sollte man berühren, um sie zum Schweben zu bringen.
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Bild: dpa

Im alten Bild des Schlafs als Bruder des Todes hat Warhol seinen Freund Giorno ebenso an den aufgebahrt toten Christus angeglichen, wie die Vanitas-Zeichnungen der ruhenden Geliebten Zeichen des gnadenlosen Vergehens von Liebe und Schönheit sind, die beides im Graphitstrich für die Ewigkeit zu bewahren suchen.

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