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#Wie man sein Scheitern vergoldet

„Wie man sein Scheitern vergoldet“

Kann man ernstlich daran sterben, keinen Roman zu schreiben? Mit dieser Angst, so hat er kürzlich offenbart, musste er Jahrzehnte leben. Seit frühesten Kindertagen war ihm klar, Romanautor zu sein. Seit Cambridger Studentenzeiten rechnete er täglich nach, in welchem Alter die bereits bekannteren Kollegen ihr Debüt veröffentlichten: Dickens und Tolstoi mit 24, Dostojewski mit 25 und so weiter. Da stieg der Druck wie auch die Sorge um sein weiteres Wohlergehen, als diese Lebensjahre bei ihm längst verstrichen, ohne dass sein eigenes Werk in Sicht geriet. Tatsächlich sollte das noch dauern, bis der Autor 41 war – kaum auszudenken, welche Qualen er bis dahin durchgestanden haben muss.

Die Leidenszeit verbrachte er mit lausigen Lehrjobs in der mittelenglischen Provinz, denn wer keine Literatur produziert, muss sie stattdessen unwilligen Schülern beibringen. Wovon sein ungeschriebener Roman denn handeln solle, fragte ihn – da war er schon Mitte dreißig – seine Frau. „Vom Scheitern“, gab er ihr zur Antwort. „Von Enttäuschung, Erniedrigung, Frust, Animosität, Neid, Sinnlosigkeit.“ Genau das sollte bald sein Lebensthema werden. Zwei Dutzend Bücher später, darunter etliche preisgekrönte, darf man es wohl auch sein sicherstes Erfolgsgeheimnis nennen.

Bitter, doch von gnadenloser Komik

Seine Hauptfiguren heißen beispielsweise Sefton Goldberg, Leon Forelock, Oliver Walzer oder Samuel Finkler, aber so gut wie alle sind sie Doppelgänger ihres Schöpfers, Scheiternde, die ständig ihren Lebenswitz und Überlebensmut existenziellem Straucheln abgewinnen müssen. Ob im Debütroman von 1983 über einen frustrierten Literaturdozenten oder im bislang wichtigsten Roman „Die Finkler-Frage“ über die Alltagsabsurditäten zeitgenössischer jüdischer Existenz, der ihm 2010 den Booker-Preis einbrachte, immer wieder hat er es verstanden, persönliche Problemlagen zu allgemeinneurotischen Befindlichkeiten zu erheben und mit abgründigem Humor zu erzählen. Das macht seine Geschichten ebenso unwiderstehlich wie, bei aller Bitterkeit, von der sie oftmals handeln, unterhaltsam: dass sie von gnadenloser Komik nur so strotzen und uns so die Unzulänglichkeit der Welt vornehmlich als ein Stilproblem erkennen lassen.

Lieber als der englische Philip Roth will Jacobson, so hat er selbst einmal erklärt, die jüdische Jane Austen sein. Die Bemerkung zielt auf jene Art Gesellschafts- sowie Gegenwartsroman, die man im Englischen „novel of manners“ nennt, wobei diese Manieren in Jane Austens Gesellschaft selbstredend stets gepflegt, in seiner allerdings zumeist ausnehmend schlecht sind, was an den schlechten Zeiten heutzutage liegen muss, und insbesondere den Sex betreffen. In der verzweifelten Obsession mit diesem Thema könnte man ihn daher auch den Woody Allen von Manchester nennen.

Dort, im Manchester der Nachkriegszeit, wuchs er als Sohn jüdischer Emigranten auf, die allen Ehrgeiz daransetzten, die traumatische Vergangenheit in der Sowjetunion hinter sich zu lassen. Davon erzählt er sehr bewegend in seinen Memoiren „Mother’s Son“, die er im März herausbrachte. Die Mutter legte ihm schon früh die Liebe zur Literatur ans Herz. Der Vater dagegen, ein Polsterer, Geschäftsmann, Taxifahrer und zuverlässig scheiternder Projektemacher, habe sein Lebtag keinen einzigen Roman gelesen und eigentlich immer nur Zauberkünstler werden wollen. So hat der Sohn die Passionen beider Eltern wunderbar vereint und, wie sich aus heutiger Sicht zeigt, erfüllt. Denn wie schon sein Alter Ego aus dem Roman „Im Zoo“ vor zehn Jahren sagte, ist der Impuls, Schriftsteller zu werden, immer ein Impuls, die Umstände der eignen Kindheit zu verändern. Zum 80. Geburtstag, den Howard Jacobson heute begeht, dürfen wir ihn also voller Dankbarkeit dazu beglückwünschen, aus lauter Scheitern zuverlässig so viel literarisches Glück zu zaubern. TOBIAS DÖRING

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