Nachrichten

#Die Anfeindung in der NS-Zeit

Inhaltsverzeichnis

Die Anfeindung in der NS-Zeit

Zur Deportation schulfrei. Als im münsterländischen Städtchen Stadtlohn die gesamte jüdische Bevölkerung – zehn Bürger – zum Abtransport auf den Lkw gebracht wird, stehen die Schulkinder mit ihrer Lehrerin Spalier und singen einstudierte Schmählieder. Ein hochbetagter Zeitzeuge der Dokumentation „Eine Familie unterm Hakenkreuz“, damals sieben Jahre alt, rezitiert die menschenverachtenden Verse Wort für Wort. Anderes, Schlimmeres mag im zeitlichen Abstand verblasst sein, diese Erinnerung ist geblieben. Ein erschütternder Moment. Hitlers Worte über „seine“ Jugend in der „Reichenberger Rede“ im Dezember 1938 kommen in den Sinn: „Sie werden nicht mehr frei sein ihr ganzes Leben.“ Hans Machemer, der Hauptprotagonist dieses Arte-Films von Jutta Pinzler und Stephan Sattig (Mitarbeit Christian Schmeink), damals ähnlich alt und mit glühendem Wunsch, zur „völkischen Gemeinschaft“ und ihrer Jugendorganisation dazuzugehören, ist freilich einer, der auch gedanklich davongekommen ist. Er ist ein Überlebender, wurde später Professor für Zellbiologie. Sein Schicksal hing aufgrund der sogenannten Nürnberger Rassegesetze und der Beschlüsse der Wannseekonferenz am seidenen Faden.

In „Eine Familie unterm Hakenkreuz“ kommentiert Hans Machemer die Geschichte seiner Eltern und seiner Brüder. Es ist eine Geschichte, die in mancher Hinsicht alltäglich und doch bemerkenswert ist. Mutter Erna und Vater Helmut sind zunächst keine außergewöhnlichen Persönlichkeiten. Als beide sich 1929 ineinander verlieben, ist er Doktorand der Zoologie, sie fängt gerade ihr Medizinstudium an, das sie bald nach Berlin führt. Helmut wird zunächst Medizinalpraktikant in Mainz. Eine Fernbeziehung, die beide zum Briefeschreiben zwingt. Über Jahre halten sie schließlich ihr Leben fest, in Hunderten Briefen, zahllosen Fotos und in neun Stunden Filmmaterial. Selbst beim Vormarsch an der Ostfront wird Helmut, der sich als Lazarettarzt freiwillig gemeldet hat, noch seine Wehrmachtskameraden ablichten, wie sie Häuser anzünden und in den Schützengräben frieren. Das Privatarchiv der Machemers ist der zeitgeschichtliche Schatz, der in diesem Film gehoben wird.

Hoffnung auf die Arisierung

Aus dem zärtlichen Austausch zu Beginn werden zweifelnde Fragen, als sich herausstellt, dass Ernas Mutter Jüdin ist, bis dahin eine Art Familiengeheimnis. Erna, im Glauben, aus einer vierhundert Jahre alten Patrizierfamilie zu stammen, bestürzen die Neuigkeiten. Helmut hadert. Die nationalsozialistische Einstufung macht sie zu einem „Mischling“. Die größte Sorge der Eltern gilt schließlich den inzwischen drei Söhnen. Während Erna in Stadtlohn, wo Helmut eine augenärztliche Praxis übernommen hat (als „jüdisch Versippter“ wurde er von der Universität entfernt), die wachsenden Anfeindungen vor den Kindern verbirgt, versucht Helmut beim Fronteinsatz Tapferkeitsmedaillen zu erhalten. Der Führer persönlich, so die vage, aber einzige Hoffnung, könnte eine „Arisierung“ ehrenhalber verfügen. Nicht mehr als etwa vierhundert Gesuche zur „Deutschblütigkeitserklärung“ wurden wohl insgesamt genehmigt. Nach Frankreich und Belgien geht es für Helmut an die Ostfront, den Russland-Feldzug wird er nicht überleben.

„Eine Familie unterm Hakenkreuz“ verlebendigt den Alltag dieser im Nationalsozialismus bedrohten Familie mit intensiver Aufbereitung des Materials. Allerdings macht ihm gerade die Fülle der unterschiedlichen Zeugnisse zu schaffen. Im Dokumentarfilmbereich spricht man von „Archivausstellung“, wenn das Material zwar im Übermaß zur Geltung gebracht, aber kein überlegter Schnitt und keine sprechende Anordnung sichtbar sortiert. Das ist hier der Fall.

Zusätzlich zum Privatarchiv schöpfen die Filmemacher aus zahlreichen anderen Archiven, ohne die Unterschiede zwischen den Machemer-Bildern und den anderen Sammlungen sichtbar zu machen. Briefe des Paares, aus dem Off gelesen, werden zwar mit Daten versehen, ob es aber eine gute Idee ist, Leerstellen der Korrespondenz mit animierten Zeichnungen von Erna und Helmut zu füllen, sei dahingestellt. Die Rolle mancher Zeitzeugen wird nicht benannt, das größte Manko der Geschichte ist aber, dass die Bilder wie die Briefe, an sich schon kleinteilig verschnipselt, durch mehrere Sprecher übermäßig zugetextet werden. Eine beherzter vorgenommene Auswahl der Dokumente, vielleicht auch eine andere Perspektive, beispielsweise die konsequente Erzählung aus der Sicht Ernas, hätte der Produktion gutgetan. Wie man durch und um die Leerstellen des Verbleibs einer Familie unterm Hakenkreuz herum eine musterhafte Dokumentation bauen kann, zeigt etwa Andreas Christoph Schmidts Film „Vernichtet – Eine Familiengeschichte im Holocaust“ (2020).

Eine Familie unterm Hakenkreuz läuft heute um 20.15 Uhr bei Arte.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!