Nachrichten

#Die Badenden vom Taunus

Die Badenden vom Taunus

Der Expressionismus hat viele faszinierende Werke auf Leinwand und Papier hinterlassen, doch so gut wie keine Wandmalerei. Zu konträr scheint die mit viel Vorbereitungszeit und einer gewissen Repräsentationsstatik verbundene Monumentalmalerei zu den von den Expressionisten geliebten, rasch hingeworfenen Viertelstundenakten zu stehen. Doch keine Regel ohne Ausnahme: Im Angermuseum Erfurt hat Erich Heckel in den Jahren 1922 bis 1924 einen ganzen Raum mit „Lebensstufen“ ausgemalt. Das größte Wandmalereiprogramm des Expressionismus jedoch wies mit fünf hochrechteckigen Gemälden von Badenden der sogenannte Brunnenturm des Sanatoriums Dr. Kohnstamm in Königstein im Taunus auf. Niemand Geringerer als der Brücke-Gründer Ernst Ludwig Kirchner hatte im Jahr 1916 die Wände dieser Sanatoriumsarchitektur mit Fresken ausgestattet.

Er war nicht der einzige illustre Patient des Neurologen und Kunsttheoretikers Oskar Kohnstamm – auch Henry van de Velde und Carl Sternheim waren in Königstein in Behandlung, unter anderem mit Kneippkuren, woher auch der namensgebende Brunnen im ausgemalten „Turm“ rührt. Kirchner aber war in das hessische Sanatorium gekommen, weil er den Militärdienst psychisch nicht verkraftete, und schuf als Patient dort im dritten Kriegsjahr in Erinnerung an glückliche Fehmarn-Zeiten einen monumentalen, al secco ausgeführten Gemäldezyklus von Badenden.

 „Kirchner-Kubus“: Innenansicht des von der Technischen Hochschule Aschaffenburg rekonstruierten Brunnen-Turms im Königsteiner Sanatorium.



Bilderstrecke



Ernst Ludwig Kirchners Fresken
:


Die Badenden vom Taunus

In nationalsozialistischer Zeit wurden diese Wandgemälde als verfemte Kunst übertüncht und dadurch größtenteils vernichtet. Im Jahr 1938 erfolgte die Schließung des durch einen deutsch-jüdischen Arzt fortgeführten Sanatoriums Dr. Kohn­stamm. Trotz aufwendiger restauratorischer Freilegungsversuche in den Neunzigern bietet der heutige verwaschene Eindruck der Fresken nicht einmal mehr einen schalen Abglanz ihrer ursprünglichen Erscheinung, war doch das herausragende Merkmal dieses Zyklus Kirchners die überragende Leuchtkraft des Meeres um die Badenden und des Himmels über ihnen.

Woher will man aber etwas über die ursprüngliche Farbigkeit wissen, wenn sich nur Aufnahmen in Schwarz-Weiß von den heute annähernd farblosen Fresken erhalten haben? Schon die Restauratoren hatten in ihren Untersuchungen bemerkt, dass Kirchner für das auffällig tiefe Blau, mit dem er Wasser wie auch den Himmel um die weiß gestrichene „Deckenkuppel“ des Brunnenhauses malte, Ultramarin verwendete, das leuchtendste Blau der Kunst aus mineralischem Lapislazuli.

Vor allem aber sind im Aschaffenburger Geburtshaus Kirchners, das wie durch ein Wunder Krieg und Jahrzehnte der Missachtung durch die Stadt überstand, nun erstmals die einzigen Originale zu den zerstörten Königsteiner Fresken ausgestellt. So entdeckt man gleich links des Eingangs ein bestens erhaltenes Aquarell, das Kirchner vom „Brunnenturm“ mit den (später teils noch veränderten) Wandgemälden schuf. Der Besitzer aus Norddeutschland, aus einer großen Hamburger Reeder-Dynastie stammend, war sofort bereit, es nach Aschaffenburg zu entleihen. Ebenso aus der Versenkung aufgetaucht sind Glasdiapositive aus dem Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, die trotz ihres Alters die zentralen Blautöne in erstaunlicher Farbtreue bewahrt haben. Sie zeigen: Nachdem Kirchner auch die letzten zwei Bekleideten (ein strandwandelndes Paar) der Stoffe beraubt hat, gab es auf den Fresken nur noch Nackte – ein Farbvierklang aus Orange vor Tiefblau mit Hintergrundgrün und dem Weiß der Segel-Dreiecke auf zwei Paneelen. An der Stirnwand quert dagegen symbolträchtig schneeweiß eine Möwe wie Picassos Taube den Azur und die Häupter der drei Badenden.

Der ausgebildete Architekt Kirchner fertigte sogar ein Faltmodell

Unter dem fesselnden Brunnenturm-Aquarell aber liegt in einer Vitrine ein ebenfalls von Kirchner selbst gefertigtes faltbares Modell des Raums auf grauem Karton in den Maßen 29 mal 98 Zentimeter mit eingeklebten Fotos der Wandbild-Entwürfe. Auch auf diesem Leporello finden sich handschriftliche Notizen Kirchners zu den Farben, insbesondere aber offenbart die Präzision der gezeichneten Wandgliederung mit ihren Paneelen und doppelt hinterlegten Pilastern den ausgebildeten Architekten. Auch der Leihgeber dieses bislang noch nie in einer Ausstellung gezeigten Objekts, der Expressionistensammler Eberhard Kornfeld, hat die ebenso große wie fragile Kostbarkeit gern nach Aschaffenburg gegeben. Als vierter Schatz kommt eine Farblithographie aus dem Städel hinzu, die seitenverkehrt exakt das Motiv der gemalten Supraporte vom Brunnenturm in Königstein wiedergibt und wie der Gemäldezyklus 1916 entstand. Erstmals lässt sich so das Schlüsselwerk Kirchners komplett rekonstruieren.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!