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#Die Gewaltfrage wird praktisch

Die Gewaltfrage wird praktisch

Einmal Kartoffelsuppe mit Gammelfleisch, das ist das Willkommensmahl, das Luisa erwartet, eine Studentin aus der Gegend um Mannheim, die sich um Aufnahme in ein linksalternatives Hausprojekt bemüht. Die Zutaten stammen aus dem Müll, es handelt sich um Abfallprodukte einer Wohlstandsgesellschaft, zu der junge Leute wie Peppa, Alfa oder Lenor auf Distanz gehen möchten. Für diese Welt gibt Luisa die Sicherheit ihrer Familie auf, auch wenn sie das Jugendzimmer noch gelegentlich als Rückzugsgebiet braucht, wenn sie bei einer ersten Auseinandersetzung mit Nazis sexuelle Gewalt erlebt und vielleicht überhaupt zum ersten Mal so etwas wie eine persönliche Verletzung.

Luisa ist die zentrale Figur in dem Film „Und morgen die ganze Welt“ von Julia von Heinz. Vor wenigen Wochen hatte er beim Filmfestival in Venedig Weltpremiere (F.A.Z. vom 12. September), nun kommt er in einem prekären Moment in die Kinos, denn in vielen Teilen des Landes ist das Infektionsgeschehen so intensiv, dass auch weitere Einschränkungen für die Kultur nicht auszuschließen sind. Je nach Region müssen die Besucher nun auch auf den Plätzen in den Sälen ihre Masken aufbehalten, was die Bereitschaft zum Kinobesuch nicht erhöhen wird. Die Problemlage, vor die sich Luisa und ihre Mitstreiter gestellt sehen, ist hingegen noch deutlich von einer anderen Krise bestimmt: von der „Flüchtlingskrise“ von 2015 und dem danach weiter erstarkten Nationalismus.

Die Erzählung von Julia von Heinz läuft schließlich auf eine Gewaltfrage hinaus, die in allen Varianten des politischen Radikalismus immer virulent ist. In „Und morgen die ganze Welt“ wird sie sowohl theoretisch wie praktisch verhandelt. In einer Jura-Vorlesung geht es ausdrücklich um das Widerstandsrecht gegen Versuche, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen – also de facto um einen Widerstand gegen Widerstand. Der Dozent, der ein bisschen wirkt wie ein Lehrer am Gymnasium, holt dazu Meinungen ein, und es ist Luisa, die sich erst einmal staatsrechtlich orthodox äußert. Sie kontert dann aber auch mit Empörung, als ein Kommilitone, den man mit seinem Appeal eines künftigen Segellehrers vielleicht eher der jungen FDP als der AfD zuordnen würde, von einer Staatskrise durch Migration spricht.

Praktisch ist die Gewaltfrage unter jungen Menschen aber auch eine Energiefrage. Gelegentlich bricht sich Theorieskepsis Bahn, dann sagt jemand „Bisher war alles nur Gelaber“, allerdings weiß ein anderer, der schon länger dabei ist: „Nazis verkloppen ist nur Kosmetik.“ Luisa verschlägt es in „Und morgen die ganze Welt“ für ein Weilchen tief in die Kosmetik. Sie erweist sich schließlich aber doch als Tochter eines leidlich funktionierenden Gemeinwesens, in dem die Fragen der Systemopposition in einen Film wie „Und morgen die ganze Welt“ sublimiert werden. Julia von Heinz beruft sich zwar auf eigene Erfahrungen in der Welt der autonomen Linken, sie erzählt davon aber schon aus der großen Distanz eines in jeder Hinsicht mittigen Autorinnenfilms, der jede Ahnung von Radikalität in eine Dramaturgie konsequenten Ausgleichs (von Energien, Figuren, Motiven) aufhebt.

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