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#Die Glocken des Traumes

Die Glocken des Traumes

Die interessantesten Songs von Sting haben eine gewisse Neigung zu limerickhafter Verspieltheit, zum lyrischen Kalauer. Vor gut dreißig Jahren, in dem musikalisch vertrackten Eifersuchtslied „Seven Days“, dichtete er etwa: „Does it bother me at all? / My rival is neanderthal“. In der Folgezeit, in der er sich immer mehr der Weltmusik zuwandte und etwa über „Sacred Love“ sang oder Renaissancelieder zur Laute, hat man diesen kabarettistischen Zug bei ihm vermisst.

Jetzt ist er endlich wieder da. „I’ll see my shrink on an analyst’s couch / Hit me with a hammer and I’ll say, ouch“: Das ist vielleicht keine große Lyrik, aber es hat Situationswitz und führt jenen sympathischen Unglücksraben vor Augen, den man auch aus Liedern wie „I’m So Happy I Can’t Stop Crying“ kannte.

Nun also sitzt dieser Typ beim Psychiater. Es geht um einen wiederkehrenden Traum von Versagensängsten – die Botschaft hält der Analytiker für leicht entschlüsselbar: „What we have here is so easy to solve“. Aber der Refrain des Liedes, der die Lösung verraten soll, bleibt dann merkwürdig vage und rästselhaft: „This is the sound of rushing water / Flooding through my brain / This is the sound of God’s own daughter / Calling out your name“. Ist es am Ende ein banaler Traum vom Wasserlassen – oder doch eine mythische Verdichtung, die eine Frau als „Gottes Tochter“ erscheinen lässt, wenn sie dem Träumenden immer wieder von einem Fluss her entgegenläuft? Es bleibt schön offen, vorbildliche Ambivalenz zum Frühstück.

Auf einer Couch in Baden-Baden sagt der vor Kurzem siebzig Gewordene bescheiden, er sehe sich selbst gar nicht als Dichter. Wir sind tief im Wald im Sender des SWR, wo er Auskunft über sein neues Album „The Bridge“ gibt – aber ganz so leicht öffnet er sich bei dieser Sitzung zunächst nicht. Was ihn dazu gebracht habe, auf dem Album derart lange, gedruckt gesehen fast unsingbar erscheinende Verse zu singen? Er habe einfach viele Gedanken unterbringen wollen, lautet die schmunzelnde Antwort. Bei manchen Fragen schaltet Sting sofort auf Autopilot, sagt dann vorgefertigte Sätze über Brücken, die jeder brauche, oder Musik als Therapie, nicht nur in der Lockdown-Zeit.

Versuchen wir es also einmal mit einem Kompliment: Die Verse im Titelstück könnten fast von Robert Frost sein, sagen wir ihm: „Though some will claim to be inclined / It’s a figment or a ghost / The bridge is deep inside the mind / Invisible to most“. Er bedankt sich lächelnd, bleibt aber bei der Tiefstapelei – vielleicht auch, weil man ihm ja oft Arroganz vorwirft? – und verrät dann, dass er manchmal ein Reimwörterbuch benutze. Nicht, weil er es brauche, sondern einfach, um alle Möglichkeiten des Reims zu erschöpfen.

Das führt direkt zum besten Stück der neuen Platte, in dem eine Strophe die andere treibt wie in einer alten Ballade: Es heißt „The Bells of St. Thomas“ und beginnt schon wieder mit einem Hammer. Diesmal im Kopf eines Verkaterten, der aufwacht in Antwerpen und nicht mehr weiß, wie er in die Wohnung der Frau gekommen ist, die ihm Kaffee macht. „I wake up in Antwerp / In some rich woman’s bed / There’s a man with a hammer / Inside of my head.“ Was zunächst anmutet wie eine Seitensprung-Story mit fadem Geschmack im Mund, kippt dann bald in eine traumhafte Verdichtung aus Impressionen des Rubens-Gemäldes vom ungläubigen Thomas und einer nach diesem Apostel benannten Kirche, deren Glocken zum letzten Gericht läuten: „And the bells on the roof of St. Thomas are calling“.

Ob dem, der sich das ausgedacht hat, etwas darüber zu entlocken ist? Sting sagt verschmitzt, er liebe einfach Antwerpen und habe sich von der Stadt und von Rubens inspirieren lassen – den Rest habe der Reim besorgt, von dem er sich habe ziehen lassen: „like a fish“. Eine Art écriture automatique also, die durch auktoriale Deutung nur verlieren könnte – aber eine durchaus reizvolle, deren im Sechsachteltakt tänzelnde Melodie sich einfrisst in die Erinnerung.

Man wiederholt, was man durchgemacht hat

Wie eine Thomaskirche, die es in Antwerpen gar nicht gibt, dorthin kommt, wird das Geheimnis des Textdichters bleiben – aber ohnehin ist das ganze Lied selbst als Rätsel angelegt, wenn es über die Glocken jener Kirche heißt: „The bells of St. Thomas / Are aching with doubt / They’re cracked and they’re broken / Like the earth in a drought / I’ve searched for their meaning / I just never found out / Whatever they’re expecting from us / Or why the bells on the roof of St. Thomas / Are crying“.

Die Verschiebung und Verdichtung von kulturgeschichtlichen Einflüssen, touristischen Erfahrungen und eben Assoziationsketten, die offenbar diesen großartigen Song regiert (den die Süddeutsche Zeitung als „Norwegian Wood für Religionslehrer“ bezeichnet hat, was wohl nicht nett gemeint war und ihn doch nur interessanter macht), provoziert noch eine weitere Frage, die sich beim Hören des Albums „The Bridge“ öfter aufdrängt: Ist es auch die traumhafte Wiederaufnahme oder Wiederholung von bereits existierenden Sting-Songs und Themen? Bei „For Her Love“, dessen Klangmotiv stark an „Shape of My Heart“ erinnert oder bei „Waters of Tyne“, das fast bukolisch in die Gegend seiner Herkunft sowie zu seinem Album „Mercury Falling“ zurückführt, liegt das fast auf der Hand.

Und tatsächlich sagt er, hier einmal ganz ernst, dass man als Künstler ähnlich wie in einer Therapie immer wieder seine Geschichte erzähle: Man wiederholt, was man durchgemacht hat, um ins Reine zu kommen. In diesem Sinne kann man „The Bridge“ auch als Brücke in die Vergangenheit betrachten: zurück zur songschreiberisch besten Phase seiner Solokarriere in den frühen Neunzigerjahren und mithin als „classic Sting“. Dazu gehören natürlich auch die Gitarrenergänzung von Dominic Miller (besonders „Harmony Road“) oder das bisweilen durchbrechende Jazz-Muckertum wie in dem instrumentalen Fusion-Stück „Captain Bateman’s Basement“. Sting ist in den Keller gegangen, und was er von dort mit heraufgebracht hat, kann sich sehen lassen.

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