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#Die große Westverschiebung beim Gas

„Die große Westverschiebung beim Gas“

Die Abhängigkeiten Europas von einem einzigen Gaslieferanten könnten in den kommenden acht Jahren die Himmelsrichtung vollständig ändern, von Ost nach West. Einer neuen Untersuchung zufolge wird im Jahr 2030 nicht mehr Russland die wichtigste Quelle sein, sondern Amerika. Eine politisch-qualifizierende Gleichsetzung der beiden Fälle ist allerdings aus mehreren Gründen zweifelhaft.

Zum einen sind die Vereinigten Staaten ein demokratischer Rechtsstaat, in dem private Rohstoffförderer den Export regeln, nicht von einer autokratischen Führung abhängige Staatsbetriebe wie in Russland. Zum anderen liefern die USA den Brennstoff in verflüssigtem Zustand (LNG) per Schiff. Dieses Verfahren lässt sich im Zweifelsfall viel einfacher, schneller und zu geringeren Kosten ersetzen als beim Gas, das durch einige wenige Rohrleitungen strömt, deren Netz sich auf die Schnelle nicht erweitern lässt.

Die Untersuchung ist eine Arbeit des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität Köln (EWI) im Auftrag des Branchenverbands Zukunft Gas. Das Papier, das an diesem Donnerstag in Berlin vorgestellt wird und der F.A.Z. bereits vorliegt, beschreibt sechs unterschiedliche Szenarien, je nachdem, wie stark die russischen Lieferungen zurückgehen und wie sich die Nachfrage entwickelt. In allen Fällen nimmt die Bedeutung der USA als Gaslieferant stark zu. Bisher exportieren sie rund 22 Milliarden Kubikmeter im Jahr in die EU. Selbst wenn alle russischen Lieferungen erhalten blieben – was seit der Ukrainekrise schon nicht mehr der Fall ist –, verdreifachen sich die Einfuhren aus den USA bis 2026.

Untersuchung rechnet mit drei Szenarien

Unter der Annahme einer sinkenden oder ganz ausbleibenden Gasbereitstellung durch das Putin-Regime sei in den kommenden Jahren eine Versechsfachung der amerikanischen Lieferungen auf 130 Milliarden Kubikmeter zu erwarten, schreiben die Autoren. Das wären dann etwa 38 Prozent der Gesamtimporte nach Europa. Bis 2030 könnte der Anteil auf 40 Prozent wachsen, was in etwa dem Beitrag Russlands im Jahr 2021 entspräche. „Mittelfristig könnte sich daher eine Abhängigkeit von Gaslieferungen aus den USA etablieren“, gibt die Studie zu bedenken. „Die Gasversorgung aus den USA wäre jedoch nicht an Pipelines gebunden, weshalb ein Wechsel des Versorgers mit weniger Komplikationen einherginge.“

Auf der Angebotsseite unterscheidet die Studie zwischen den drei Möglichkeiten, dass Russland weiter unbeschränkt Gas liefert, dass es den Export teilweise beschränkt oder dass es ihn ganz einstellt. Das erste Szenario ist derzeit unrealistisch. Nachfrageseitig wird zwischen hoher und niedriger globaler Erdgasnachfrage unterschieden. Eher nebenbei erwähnt das Papier, dass beide letztgenannten Entwicklungen bis zum Jahr 2100 zu einem mittleren Anstieg der globalen Oberflächentemperatur um mehr als 2 Grad Celsius führen werden. Die Ziele der Weltklimakonferenzen von Paris und Glasgow lauten, dass die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter nur 1,5 Grad betragen soll.

Als Engpass in der Versorgung beschreiben die Autoren die europäischen Pipelinekapazitäten, über die bisher 75 Prozent des Imports laufen. 40 Prozentpunkte entfielen im letzten normalen Jahr 2021 auf Russland, knapp 23 Punkte auf Norwegen und 13 auf Nordafrika. Wenn die Leitungen nach Russland ausfallen, bleiben nur die Verbindungen nach Norwegen, Aserbaidschan und Algerien. Bis 2028 könnten die Skandinavier ihre Produktion zwar ausweiten, heißt es in dem Papier, dann aber gehe die Lieferung zurück. Aus Nordafrika werde es schon früher Reduktionen geben, da diese Länder immer mehr Gas selbst benötigten.

Deutschland ist selbstverschuldet unflexibel

Folgerichtig liegt die Zukunft in der Regasifizierung von verflüssigtem Erdgas, das bisher nur 25 Prozent zum Import beiträgt. Im Moment verfügen Frankreich, Spanien und Portugal über fast zwei Drittel der Anlandungskapazitäten in der EU. Sie sind deshalb weniger auf Pipelines angewiesen als der Rest des Kontinents, können diesen aber nicht mitversorgen, da die innereuropäischen Rohrleitungen nicht ausreichen. Das ist vor allem für Binnenstaaten in Mittel- und Osteuropa problematisch, die keine LNG-Entladungspunkte aufbauen können, selbst wenn sie wollten.

Deutschlands Unvermögen ist indes selbst gewählt, denn als einziges größeres Land mit Meerzugang hat es auf entsprechende Terminals freiwillig verzichtet. Jetzt aber klotzt die Bundesrepublik ran und baut an der Nordsee innerhalb kürzester Zeit mehr schwimmende und feste Anlagen als jedes andere Land in Europa. Die ersten sollen Ende des Jahres in Wilhelmshaven in Betrieb gehen.

Mit der geplanten Einfuhr aus den USA wird Europa für die Amerikaner der wichtigste LNG-Markt neben Asien. Die Bedeutung eines anderen Hoffnungsträgers bewertet das EWI indes gering. Viel ist über die Anbahnungsreise von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nach Qatar gesprochen worden, greifbare Ergebnisse gibt es aber noch nicht. Das Emirat könne seine Exporte in die EU allenfalls geringfügig steigern, halten die Wissenschaftler fest. Denn ein Großteil der Mengen sei durch Langfristverträge bereits asiatischen Empfängern versprochen. Auch andere potentielle Lieferanten wie Australien oder Kanada, das Habeck und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kürzlich voller Hoffnung auf neue Verträge bereisten, könnten ihre Exporte „nicht signifikant“ steigern. Auch sie hätten sich an Asien gebunden.

Für die hohen Gaspreise gibt die Studie nur bedingt Entwarnung. Ohne Bezug aus Russland dürften die Großhandelstarife auch 2026 noch über dem Niveau von 2021 liegen, trotz neuer LNG-Kapazitäten. Bis 2030 könnten die früheren Preise zwar wieder erreicht werden, aber nur, wenn die Nachfrage sinke. Klar sei auch, dass in jedem der Szenarien der europäische Gaspreis deutlich höher bleiben werde als der amerikanische.

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