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#Antimuslimischer Rassismus: „Seit ein paar Wochen fühle ich mich hier fremd“

Am Telefon klingt Joel El-Qalqili nüchtern. Neulich, bei einer Ultraschalluntersuchung, sagt er, habe der Gynäkologe seine schwangere Frau gefragt, woher ihre Stresswehen kämen. Sie habe geantwortet, die familiäre Situation sei schwierig, sie sorge sich um ihre Familienangehörigen im Gazastreifen. Daraufhin habe der Arzt wissen wollen, ob ihre Familie radikal oder moderat sei. Und ob ihr Mann dort zum Kämpfen sei. Der Arzt meinte ihn – Joel El-Qalqili, 39, Rechtsanwalt und Consultant, mit seiner Frau hat er zwei Kinder, wohnhaft in Brandenburg an der Havel.  

Früher, sagt El-Qalqili, habe er seinen Vater nicht verstanden. Der stammt aus dem heutigen Süden Israels, 1948 begann seine lange Flucht, die ihn über mehrere Umwege 1963 nach Niedersachsen führte. Sein Vater ist ein palästinensischer Kommunist, zeitlebens fühlte er sich in Deutschland allein und heimatlos. Sein Sohn hingegen, in Berlin aufgewachsen, studierte Jura an der Bucerius Law School, wurde Ruderer, mit Anfang 20 gewann er zweimal den U23-Weltmeistertitel für Deutschland. Doch El-Qalqilis Bild von seiner Heimat Deutschland trübt sich dieser Tage zusehends ein. „Seit einigen Wochen“, sagt El-Qalqili, „fühle ich mich hier fremd.“  

Seit dem Terrorangriff der islamistischen Hamas vom 7. Oktober und dem darauffolgenden Krieg ist auch in Deutschland die Atmosphäre kälter und unversöhnlicher geworden. Auf den Straßen, in Teilen der Kulturszene, vor Synagogen kam es zu schockierenden antisemitischen Einschüchterungen und Gewalt. Jüd:innen berichten, sich in Deutschland, dem Land des Holocausts, nicht sicher zu fühlen.    

Zugleich nimmt auch der rassistische Pauschalverdacht gegenüber muslimischen und arabischstämmigen Menschen zu. Seit Anfang Oktober registrierte die vom Bundesfamilienministerium unterstützte Antidiskriminierungs-NGO Claim eine deutliche Zunahme von Übergriffen gegen Muslim:innen. Dazu gehören körperliche Angriffe, wie etwa der auf eine Schülerin in Berlin wegen ihrer Halskette mit dem arabischen Schriftzug „Allah“. Moscheen erhielten mit Fäkalien und Schweinefleisch gefüllte Drohschreiben. An Schulen kam es zu Übergriffen, wie jüngst die Gewaltaufrufe an einem Münchner Gymnasium. Und auch muslimische Gräber wurden mit Hakenkreuzen geschändet

ZEIT ONLINE wollte wissen, wie es muslimisch und arabisch gelesenen Menschen momentan in Deutschland geht. Wie nehmen sie die deutsche Debatte zum Krieg wahr? Dafür haben wir mit Betroffenen gesprochen, Expert:innen befragt.

Als Palästinenser werde ich vorverurteilt und in eine Bringschuld gebracht.

Joel El-Qalqili

Nach den Einschätzungen von Reem Alabali-Radovan – der Integrations- und Rassismusbeauftragte der Bundesregierung – zur deutschen Nahostdebatte gefragt, antwortet sie per Mail: „Einige projizieren die widerlichen Jubel-Szenen auf unseren Straßen nach dem Hamas-Terror pauschal auf DIE Muslim:innen“, schreibt sie. Dieser Generalverdacht sei gefährlich, spalte die Gesellschaft und grenze Millionen von Muslim:innen in Deutschland aus. „Ihre Zugehörigkeit wird immer wieder aufs Neue infrage gestellt, das darf nicht sein.“ Dabei sei wichtig, dass der Kampf gegen Rassismus und Muslimfeindlichkeit nur mit „unbedingter Ächtung von Antisemitismus einhergehen kann – und umgekehrt. Beides muss Hand in Hand gehen, darf nicht gegeneinander ausgespielt werden.“

Die Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, die er diesen Herbst an „die Menschen mit palästinensischen oder arabischen Wurzeln in Deutschland“ richtete, empfand El-Qalqili als Beleidigung. „Lassen Sie sich von den Helfershelfern der Hamas nicht
instrumentalisieren“, sagte Steinmeier, und: „Sprechen Sie für sich
selbst. Erteilen Sie dem Terror eine klare Absage.“ Selbstverständlich stehe er hinter dem deutschen Grundgesetz und dem Völkerrecht und nicht hinter der Hamas, sagt El-Qalqili. Deswegen schockierte ihn auch die Aussage von Friedrich Merz, dass Deutschland Menschen aus Gaza kein Asyl gewähren sollte, da hier schon genug antisemitische junge Männer seien. „Als Palästinenser werde ich vorverurteilt und in eine Bringschuld gebracht“, sagt der deutsch-palästinensische Volljurist, dessen Vorfahr:innen mütterlicherseits im Nationalsozialismus unter anderem in der Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis aktiv waren. 

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