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Die Kritiker: Stammheim – Zeit des Terrors

50 Jahre Stammheim-Prozess ist dem Ersten am Montagabend ein Dokudrama wert. Wie differenziert kann es sich dem Geschehen von damals nähern?

Es ist ein grauer, historisch aufgeladener Betonklotz, der da aufragt: Stammheim. Und dieser Film – «Stammheim – Zeit des Terrors» – ist der Versuch, diesem Betonklotz ein Echo zu entlocken. Nicht laut, nicht pathetisch, sondern eher so, als würde man an einer vergessenen Stelle im Treppenhaus klopfen und kurz innehalten, ob da was zurückkommt. Und ja – da kommt was zurück. Aber auch einiges bleibt stumm.

50 Jahre nach Beginn des Prozesses gegen die erste Generation der RAF begibt sich dieses Dokudrama an einen Ort, der sich selbst längst in einen Mythos verwandelt hat. Es ist ein kluger Kunstgriff, den ehemaligen Justizvollzugsbeamten Horst Bubeck zum inoffiziellen Erzähler zu machen – ein Mann, der nicht ideologisch brennt, sondern einfach dabei war. Der Kaffee kochte, Zellentüren öffnete und die radikale Geschichte dieses Landes aus nächster Nähe mitbekam – ohne selbst Teil von ihr werden zu wollen.

Die szenischen Teile, inszeniert von Niki Stein, getragen von einem fast dokumentarischen Ernst, atmen das, was dieses Thema braucht: keine Effekthascherei, kein Pathos-Overkill. Stattdessen: ein konzentriertes Kammerspiel in kalten Räumen. Besonders Lilith Stangenberg als Gudrun Ensslin spielt nicht bloß eine Rolle, sie füllt sie klar aus. Henning Flüsloh bringt Andreas Baader als kalkulierten Rhetorik-Chaoten auf die Leinwand – ein Mann, der sich selbst so sehr inszeniert, dass man beim Zuschauen vergisst, dass es hier um echte Taten und echte Tote geht. Tatiana Nekrasov als Ulrike Meinhof ist leise, gebrochen, fast geisterhaft – was bleibt von einer Intellektuellen, wenn der Glaube zu lange alleine war?

Was der Film ausgezeichnet macht: Er verweigert die eindeutige Haltung. Und das ist keine Schwäche, sondern seine große Stärke. Er zeigt. Zeigt, was war. Zeigt, wie sehr dieses „Was war“ bis heute als Schlacke im Fundament der Bundesrepublik steckt. Wie sehr uns diese Geschichte noch immer beschäftigt – und oft überfordert.

Die Verwebung von Archivmaterial mit den szenischen Elementen gelingt meistens gut. Die Übergänge sind fließend, wirken selten gekünstelt. Die dramatische zweite Ebene – der Untersuchungsausschuss 1977/78 – bringt Tiefe, manchmal auch Länge. Denn ja, das ist ein Film, der Geduld braucht. Der nichts erklärt, was man sich nicht selbst zusammenreimen kann. Manchmal wirkt das wie eine Tugend, manchmal wie eine dramaturgische Ausrede.

Was fehlt? Vielleicht etwas Mut zur künstlerischen Brechung. Die Musik hält sich zu sehr im Hintergrund, das Licht bleibt funktional, die Kamera ist oft statisch – gewollt nüchtern, aber bisweilen auch einfach mutlos. Es gibt Momente, in denen man sich wünscht, «Stammheim – Zeit des Terrors» würde sich trauen, die Grenzen des Dokudramas zu sprengen. Aber vielleicht ist genau das der Punkt: Eine stille Replik auf den Lärm von damals.

Das Dokudrama «Stammheim – Zeit des Terrors» wird am Montag, den 19. Mai um 20.15 Uhr im Ersten ausgestrahlt.

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