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#Die Kunst der Stadtverwaldung

Die Kunst der Stadtverwaldung

Wer der Umwelt Gutes tun will, sollte manche Gegenden besser meiden. Mit Hitzewellen bis 38 Grad und Dürreperioden im Sommer, gefolgt von Wirbelstürmen und Überschwemmungen im Herbst, zählt Houston zu den meistgefährdeten Unwetterzonen in Amerika. Dennoch ist die Stadt zum viertgrößten Ballungsraum aufgestiegen. Das hat der amerikanische Stadtökonom Edward Glaeser immer wieder als ökologisch unvertretbar attackiert: „Wenn Amerika grüner werden soll, dann müssen wir mehr in Boston oder San Francisco bauen und weniger in Houston oder Oklahoma.“

Vor allem nach den jüngsten amerikanischen Tornado-Katastrophen ist es erstaunlich, dass Houston in der Beispielsammlung „Die resiliente Stadt“ auftaucht. Darin berichtet die brandenburgische Landschaftsarchitektin und Hochschullehrerin Elke Mertens von der Entstehung einer „grün-blauen Infrastruktur“, die sie auf Forschungsreisen durch elf Großstädte in Nord-, Mittel- und Südamerika beobachtete. Damit meint sie den Umbau urbaner Problemgebiete in Ausgleichszonen zur Kühlung, Belüftung, Verdunstung und Speicherung für Wasser, Luft, Boden. Fast scheint Joseph Beuys’ einstige Documenta-Kunstaktion der „Stadtverwaldung“ alltägliche Planungspraxis zu werden.

Überschaubare kommunale Pilotvorhaben

In Houston führte bislang ein betonierter Fluss namens Buffalo Bayou von der City in die Vorstädte. Die Stadtverwaltung renaturierte 2015 das Flusstal als Feuchtgebiet, Überflutungszone und Erholungsraum. Dabei wurden die Bauten und Parkmöbel so tief im Boden verankert, dass sie bei der nächsten Flut nicht wegschwimmen. Ebenso regenerierte die Stadt mit Bürgerinitiativen verwahrloste Parks, legte Zisternen als Rückhaltebecken und Vegetationszonen für neue Lebensräume an.

Elke Mertens: „Die resiliente Stadt“. Landschaftsarchitektur für den Klimawandel.


Elke Mertens: „Die resiliente Stadt“. Landschaftsarchitektur für den Klimawandel.
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Bild: Birkhäuser Verlag

Die Autorin hat keine spektakulären Großprojekte zur Bewässerung von Wüsten oder Landgewinnung in Küstenregionen gesammelt, sondern konzentriert sich auf überschaubare kommunale Pilotvorhaben, die nicht immer originell, aber durchweg praktikabel sind. So kümmert sich Toronto um die Schaffung von multifunktionalen „grünen“ Straßen, Anpflanzung widerstandsfähiger Stadtbäume, Aufforstung von Steinbrüchen und fördert das „urban farming“ in ehemaligen Industriehallen. Seit 2017 plant dort eine Google-Tochter namens „Sidewalk Labs“ die Reurbanisierung des Ufers am Ontariosee mit einer „Smart City“; doch die Ankündigung, dass die Straßenbeläge für die selbst fahrenden Autos im Winter beheizbar sein sollen, lässt nichts Gutes erwarten.

Vorbild Bogotá

Vancouver hingegen, die Geburtsstadt von Greenpeace, arbeitet seit 2009 daran, zur „grünsten Stadt der Welt“ zu werden. So stammen fast hundert Prozent der Elektrizität aus erneuerbaren Quellen, der Frischwasserkonsum durch Regenwasserspeicher sank um die Hälfte, und die Bepflanzung von Dachgärten und Fassaden ist in vollem Gang. Doch wie sich die Stadt an der Pazifikküste vor dem steigenden Meeresspiegel schützt, bleibt unklar.

New York weiß seit dem Monster-Hurrikan Sandy von 2012, was Klimawandel heißt. Wenn der Wasserpegel unverändert ansteigt, wird 2080 ein Viertel der Stadt überschwemmt sein. Der beschriebene Ausbau der einst unzugänglichen Governors Island in der Bucht von Manhattan zum hochgelegten Stadtpark kann daran trotz aller landschaftsgärtnerischen Finesse wenig ändern. Nützlicher erscheinen neue Wasserfronten und Aufschüttungen am East River in Queens. Sie schützen nicht mit Spundwänden vor den Fluten, sondern bilden kontrollierte Überflutungszonen, die das Wasser zurückhalten und langsam wieder in den Fluss ableiten. Anstelle des fußgängerfreundlichen Umbaus des Times Square hätte die Autorin besser untersucht, wie New York unter Bürgermeister Bloomberg seit 2002 seine Wasserkante rund um Manhattan in einen lebendigen Grünboulevard verwandelt, der nebenbei auch Hochwasser aufsaugt.

Überraschend entpuppen sich Bogotá und Medellín in Kolumbien als hoch technisierte Städte mit vorbildlichen Verkehrssystemen aus Straßen-, Hoch- und Seilbahnen sowie Grünplanungen mit Parks und Vegetationskorridoren, die viele Europäer neidisch machen können. Im brasilianischen Manaus im Amazonasbecken sind die Klimafolgen der Abholzungen am deutlichsten spürbar, weshalb hier auch die meisten ökologischen Forschungsstationen arbeiten. Wenn der zerstörte Anteil des Regenwaldes von heute zwanzig auf fünfundzwanzig Prozent steigt, so zitiert die Autorin aktuelle Forschungen, dann ist die Klimaanlage der Welt kaputt. Während Rio de Janeiro zunehmend umweltbewusst agiert, ist die 1960 gegründete Reißbrettstadt Brasília auch landschaftsplanerisch nicht wiederzubeleben.

Jeder Stadt widmet die Autorin eine historisch-geographische Darstellung mit aktuellen ökologisch-politischen Ausblicken. Die Recherche der Umweltdaten und Klimafolgen ist jedes Mal verdienstvoll, aber in ihrer vorhersagbaren degenerativen Tendenz ermüdend. Anstelle der Bebilderung mit vielen Postkartenmotiven wären Lagepläne, Geländeschnitte und Konstruktionszeichnungen hilfreicher. Eher ungewollt macht das Buch deutlich, dass sektoral optimierte Grünplanungen in der Stadtökologie zu kurz greifen. Aber allmählich scheinen auch Landschafts- und Stadtplaner die Zukunft resilienter Städte nicht länger in ihrer Auflösung, sondern in ihrer räumlichen Konzentration und technischen Modernisierung zu sehen, wie es kluge Stadtökonomen längst erkannt haben.

Elke Mertens: „Die resiliente Stadt“. Landschaftsarchitektur für den Klimawandel. Birkhäuser Verlag, Basel 2021. 256 S., Abb., geb., 42,95 €.

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