#Die kurze Illusion
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„Die kurze Illusion“
Zeruya Shalev sitzt an ihrem Schreibtisch zu Hause in Haifa und schaut in die Kamera. Neben ihr liegt ein ganzer Stapel mit Notizheften, sie hält sie hoch, um sie zu zeigen, öffnet sie, um die Notizen sichtbar werden zu lassen, die sie alle während der Arbeit an ihrem neuen Roman gemacht hat: „Schicksal“. Zwölf bis vierzehn Stunden habe sie oft am Stück geschrieben, nicht selten nachts, um dieses Buch fertigzukriegen, das ihr sehr viel abverlangt habe. Zum Schluss habe sie eine panische Angst ergriffen, sie könnte möglicherweise an Corona sterben, bevor das Buch fertig sei. „Aber ich lebe noch“, sagt sie und lacht erschöpft, auch wenn „in mir alles brennt und weint“ angesichts dessen, was, während wir sprechen, draußen auf den Straßen von Haifa Realität ist. Wo, seitdem alle geimpft waren, „noch vor zwei Wochen alle draußen in den Cafés und Restaurants saßen, jüdische und arabische Familien zusammen und durcheinander“ .
Es gibt in „Schicksal“ eine Szene, in der Shalevs Hauptfigur Atara auf ihr Handy schaut und beunruhigt die Nachrichten durchscrollt. „In letzter Zeit hat sie das Gefühl, sie habe den Staat schon aufgegeben und führe nur noch ihr Haifaer Stadtleben, das Leben der einzigen Stadt in Israel, die versucht, die Vision eines Zusammenlebens zu verwirklichen, eine beinah romantische Fantasie, die sie verzaubert hatte, als sie von Jerusalem hierhergezogen war, und die in ihr noch immer ab und zu Hoffnung weckt. Doch die Nachrichten, die sie jetzt liest, bieten nicht viel Hoffnung“, heißt es da. Denn der Roman erzählt nicht nur von fataler Verstrickung und von Komplexität; davon, wie alles mit allem zusammenhängt, sondern auch die Geschichte einer Desillusionierung, die mit dem Land Israel verbunden ist. Das macht das Buch hochaktuell – zugleich aber auch anders als die bisherigen Romane von Zeruya Shalev.
Vereint gegen Deutschland
„Schicksal“ nämlich ist Shalevs erster Israel-Roman, was nicht heißt, dass die anderen es nicht waren. „Liebesleben“, „Mann und Frau“ oder „Späte Familie“ jedoch erzählten universelle Geschichten und von Israel eher indirekt, von den Konflikten des Landes in Andeutungen und Metaphern. Sie handelten vorrangig von den Obsessionen der Figuren, was immer mit einer Obsession der Form einherging. Shalevs lange Kaskadensätze füllten oft weit mehr als eine Seite und führten in radikaler Subjektivität Geschehen, Erinnerungen, Dialoge und Phantasmen in einem Tableau empfundener Gleichzeitigkeit zusammen. Jetzt sind die Sätze der Syntaxkünstlerin plötzlich nicht mehr so lang, ganz so, als gäbe es nicht mal mehr die Chance, sich in etwas zu verlieren.
Und es kommt ausdrücklich die Geschichte des Landes ins Spiel, genauer: die „Kämpfer für die Freiheit Israels“, die „Lechi“, eine zionistische militärische Untergrundorganisation in Palästina während des britischen Mandats, deren terroristische Anschläge sich gegen die britische Mandatsherrschaft über Palästina richteten und die auch nach Beginn des 2. Weltkriegs nicht bereit war, diesen Kampf einzustellen, um vereint gegen Deutschland zu kämpfen. Nach 1945 verübten sie Anschläge auf britische Militär- und Polizei-Einrichtungen. Auf ihr Konto ging auch der Mord an dem UN-Vermittler Graf Folke Bernadotte im September 1948. Nach der Staatsgründung 1948 wurde die Lechi verboten.
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