Die lettische Serie „Sowjet Jeans“ bei Arte

Inhaltsverzeichnis
In diesem Fall passt die verhaltene Underground-Programmierung als „Web only“-Serie bei Arte zumindest thematisch, denn „Sowjet Jeans“ spielt im Untergrund. Im Zentrum steht die Identifikation der jungen Bevölkerung in den Sowjetrepubliken mit westlicher Rock-Kultur und ihren Insignien. So staatsgefährdend erschien diese kulturelle Häresie der sowjetischen Führung, dass der mächtige Geheimdienst KGB abstrus viele Ressourcen in ihre Bekämpfung steckte und doch nie gegen die Energie des Rock ’n’ Roll ankam.
Die Showrunner Staņislavs Tokalovs aus Lettland und Teodora Markova aus Bulgarien erzählen diesen Kulturkampf nun als modernes Märchen, als romantische Tragikomödie, die in Riga im Jahr 1979 angesiedelt ist und an der so vieles detailgenau wahr ist, dass sich der Irrsinn dieser Zeit noch einmal in aller Pracht darin spiegelt. Renars (Kārlis Arnolds Avots), der zentrale Protagonist, führt als Kostümbildner am Rigaer Theater ein so selbstbestimmtes Leben, wie es in einer Sowjetrepublik zu jenen Jahren möglich war. Er und seine Freunde wehren die Einschüchterungen und Vereinnahmungen durch die Staatssicherheit so gut es geht ab, sie sabotieren Überwachungsanlagen und betreiben einen kleinen Schmugglerring für Westwaren, die sie oft Touristen abquatschen.
Einer von vielen klug durchdachten Erzählsträngen
Das alles erinnert in seiner Rasanz und fröhlichen Delinquenz an einen Film wie „Lola rennt“, in seinem durch Humor abgemilderten Sarkasmus beim Rückblick auf die Herrschaft der Genossen an „Good Bye, Lenin“, aber anders als in deutschen Komödien wird der für solche Autonomie zu entrichtende Preis hier nie beschönigt. Die Bestrafungen sind brutal, mitunter tödlich; da endet jede Stilisierung. Das hebt „Sowjet Jeans“ auch weit ab von rein poppigen Wendethrillern wie „Kleo“, die als schrille Unterhaltung historisch letztlich hohl sind. Es geht den Machern der lettischen Serie tatsächlich um die Frage, wie Traum und Albtraum im Sozialismus miteinander vernäht waren.

Renars ist so cool, gewitzt und angstfrei – ganz anders als sein Jugendfreund Maris (Igors Šelegovskis): ein rückgratloser Opportunist, der für den KGB arbeitet und zum großen Gegenspieler wird –, dass die junge finnische Gastregisseurin Tina (Aamu Milonoff) gar nicht anders kann, als sich in ihn zu verlieben. Renars, einer Lappalie wegen von Maris zum (weitgehend nutzlosen) Informanten gemacht, verguckt sich auch in sie, obwohl er Tina eigentlich hätte überwachen sollen. Die gesamte Serie hindurch, das ist nur einer der vielen klug durchdachten Erzählstränge des Drehbuchs, arbeitet Tina an einer „Hamlet“-Aufführung. Dafür wurde sie offiziell eingeladen. Sie muss aber mitansehen, wie ihre westlich plump mit Freiheitsgedanken durchsetzte Inszenierung (der Usurpator Claudius erinnert an Breschnew) von alerten Parteigenossen Szene für Szene entstellt wird, bis ein linientreues sozialistisches Stück übrig bleibt. Anders wäre keine Aufführungsgenehmigung zu bekommen.
Mit Herzblut gespielt
Als Renars Maris öffentlich lächerlich macht, nutzt der seine Macht, um den insgeheim Beneideten in eine psychiatrische Anstalt einweisen zu lassen, wo man bald eine schizophrene Fixierung auf Westkultur feststellt. Das sei in der Sowjetunion gängige Praxis gewesen, erzählte Teodora Markova auf dem vergangenen Film Festival Cologne, wo die Serie mit so großer Begeisterung aufgenommen wurde wie auf so gut wie allen bespielten Festivals (bei „Séries Mania“ in Lille gewann sie gleich den Publikumspreis). In Psychiatrien habe man politische Aufrührer gesteckt, weil man dort nach Belieben ihre Haftstrafe verlängern konnte. Der Hauptplot der Serie beginnt hier erst, denn es gelingt Renars, den leicht korrumpierbaren Leiter der Anstalt (Andris Keišs) davon zu überzeugen, in der hauseigenen Schneiderei mit einigen Mitgefangenen heimlich massenhaft gefälschte Levi’s-Jeans zu produzieren. Diese werden zum illegalen Verkaufshit auf dem Schwarzmarkt, und es beginnt ein grandioses Katz-und-Maus-Spiel, bei dem die Jeans-Partisanen unentwegt den gar nicht nur dummen KGB-Kräften und anderen Gegenspielern entwischen müssen. So turbulent überdreht und zugleich hintergründig war eine Ost-West-Komödie vielleicht seit Billy Wilders „Eins, zwei, drei“ nicht mehr.
Humor sei im Kommunismus ein Überlebensinstrument gewesen, sagte Markova. Und tatsächlich fängt die Serie diese Stimmung phantastisch ein. Es ist ein oft galliger Humor voller Selbstironie, authentisch skurriler Objekte und köstlicher Situationskomik, der jedoch nie übertüncht, was auf dem Spiel steht. Die Freiheit, von der die Serie handelt, ist eine, die man sich nehmen muss, unbekümmert um die Folgen.
Die Regie von Tokalovs und Juris Kursietis hält die Balance zwischen absurder Komik und wahrer Tragik, zwischen aufregenden Vollgasmomenten und retardierenden Szenen (die das bleiern Unwandelbare des Sozialismus repräsentieren), zwischen erstaunlich unnostalgischer Revolutionsdramatik und einer ergreifend schönen, nie naiven Liebesgeschichte (Hamlet und Ophelia stehen Pate). Ein Solo jagt das nächste; dramaturgisch ist das selbst Rock ’n’ Roll .
Aber nicht nur das, Tokalovs und Kursietis haben auch herrlich atmosphärische Drehorte gefunden für diese erfrischend ungestüme, von allen Beteiligten mit Herzblut gespielte Serie, die mit einem für ortsübliche Verhältnisse außergewöhnlich hohen Budget von 1,7 Millionen Euro (teils aus Covid-Aufbaufonds) haushalten konnte. Schon jetzt ist „Sowjet Jeans“ die wohl weltweit erfolgreichste lettische TV-Serie. Dass es eine zweite Staffel geben wird, verriet Markova in Köln ebenfalls. Sie spielt 1988 und zu guten Teilen rund um die Berliner Mauer; inzwischen steuert der korrupte KGB, der weiß, dass die sozialistische Ideologie gescheitert ist, selbst die Denimhehlerei. Einer der damaligen KGB-Offiziere auf deutschem Boden sitzt heute als Diktator im Kreml. Wer „Sowjet Jeans“ gesehen hat, wird die Fortsetzung kaum abwarten können.
Sowjet Jeans ist von Donnerstag an in der Arte-Mediathek abrufbar.
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