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#Trickreiche Tropfen

„Trickreiche Tropfen

Wie Flüssigkeiten tropfen, fesselt Wissenschaftler, denn darin steckt viel komplexe Physik. Und die zu verstehen, hilft bei technischen Anwendungen.

von REINHARD BREUER

Tropfen sind allgegenwärtig, und sie sind äußerst vielfältig. In Wolken stießen Meteorologen schon auf Exemplare von fast einem Zentimeter Durchmesser. Noch größere Tropfen können sich auf Oberflächen bilden. Die langsamsten Tropfen fallen in einem Labor im australischen Brisbane: Dort füllte ein Physiker bereits 1927 eine teerartige Flüssigkeit in einen Trichter. Seither „tropft“ die zähe Masse nur alle paar Dutzend Jahre einmal aus dem Gefäß heraus. 2014 fiel der neunte Tropfen, nun warten die Fans des kuriosen Schauspiels auf Tropfen Nummer zehn. Das Guinness-Buch der Rekorde kürte das Spektakel 2003 zum „am längsten andauernden Laborexperiment“ der Welt. Die schnellsten bekannten Tropfen fliegen hingegen so rasch wie Gewehrkugeln, etwa durch Gasturbinen oder Triebwerke.

Wie schnell Wassertropfen in der Luft fallen, interessiert die Meteorologen. Sie messen das per Radar. Dabei geht es um die Bestimmung der Niederschlagsmengen oder um die Verwirbelung unterschiedlich großer Regentropfen durch Luftturbulenzen. Je kleiner ein Tropfen, desto langsamer fällt er zu Boden. Manche Wassertropfen wachsen bis auf fünf Millimeter Größe und fallen dann zu Boden – in einem starken Regenschauer bis zu 30 Kilometer pro Stunde schnell. In einem Niesel- oder Sprühregen hingegen sinken sie sanft herab. Der Übergang zum Nebel, bei dem die feinen Tröpfchen schweben, ist fließend.

Die kleinsten Tropfen sind nicht nur selbst für Mikroskope unsichtbar, sondern bilden mitunter Objekte, die nur Quantenphysiker verstehen. Gefährlich sind winzige Tropfen, die Viren verbreiten – wie in der Corona-Pandemie. Doch sie machen sich auch nützlich in vielen technischen Geräten des Alltags. Wie sich solche Tropfen verhalten, untersuchen Wissenschaftler zum Beispiel für die Anwendung in einem Tintenstrahldrucker, zur Materialverarbeitung, in chemischen Prozessen, der Raffination von Rohöl oder beim Filtern von Zutaten in der Lebensmittelherstellung. Die Mikrofiltration von Tropfen setzen Firmen auch für pharmazeutische und kosmetische Produkte ein.

Verschmelzen und aufspalten

Ein großes Problem für „Mikrofluidiker“ ist noch immer, zu verstehen, wie Tropfen miteinander verschmelzen oder sich teilen. Bei manchen Anwendungen ist das Ziel, eine Verschmelzung herbeizuführen, um Substanzen zu mischen und chemische Reaktionen anzustoßen. In anderen Fällen sollen Tropfen genau daran gehindert werden. Wie Oberflächen sich dabei befeuchten und benetzen, ist für die Effizienz vieler Apparaturen von großer wirtschaftlicher Bedeutung.

Einer, der das genau wissen will, ist Bernhard Weigand, Direktor des Instituts für Thermodynamik der Luft- und Raumfahrt der Universität Stuttgart. Im Regen nehme man nur wahr, wie Tropfen herunterprasseln, erklärt der Forscher. „Aber wir haben das mit Hochgeschwindigkeitskameras untersucht, die 25.000 Bilder pro Sekunde liefern.“ Die so erstellte Superzeitlupe enthüllt etwa, wie ein rund zwei Millimeter großer Tropfen aufprallt und dann zerplatzt.

Ein erstaunlicher Anblick: Denn ein frei fallender Tropfen hat keineswegs die Form einer klassischen Träne. Zunächst gleicht er einer wackeligen Kugel. Das liegt an seiner Oberflächenspannung, die – dank der schwachen Kräfte, mit der sich die Moleküle gegenseitig anziehen – das Wasser wie eine Haut zusammenhält. Je kleiner der Topfen ist, desto größer sind diese Kräfte. Dann flacht das Gebilde an der Unterseite ab, die Oberseite ähnelt hingegen einer Halbkugel. Der Grund: Auf die Unterseite drückt der Luftstrom stärker, an der Oberseite senken kleine Turbulenzen den Druck. Im Regen kollidieren Tropfen häufig mit anderen und wachsen dadurch. Doch ab ungefähr vier Millimeter Durchmesser zerplatzen die Gebilde und zerteilen sich in kleinere Wasserkügelchen.

Wasserwand, Spritzrand und Krone

Weigands Superzeitlupe zeigt zudem: Sobald ein Tropfen auf den nassen Boden prallt, wächst um ihn herum eine ringförmige dünne Wasserwand. Nach kurzer Zeit verändert sich das Bild: Die dünne, ringförmige Wand bildet an ihrem oberen Rand – dem sogenannten Spritzrand – dünne Wasserfäden aus, die sich schon nach wenigen Millimetern in Perlenketten winziger Kügelchen auflösen. Der Spritzrand zerplatzt und ähnelt für einen kurzen Moment einer Krone. Wie von einer Schrotflinte abgefeuert schießen jetzt Dutzende Wasserprojektile in alle Richtungen.

Nach einer halben Sekunde zerreißt die immer dünner gewordene Wasserwand und verschwindet einfach. Danach sprühen nur noch große und kleine Tröpfchen umher. Nach weiteren wenigen Sekunden sind die meisten davon irgendwo im Umkreis gelandet. Nur ein kleiner Teil feinster Wasserstaub nebelt die Umgebung ein. Der Spuk ist vorüber – bei jedem herabprasselnden Regenguss ein millionenfaches, aber für menschliche Augen unsichtbares Spektakel.

Moderne Supercomputer können solche Schauer sehr realistisch abbilden. Man muss dafür bloß die Grundgleichungen für so einen Topfen lösen, meint Weigand. Allerdings nutzen er und sein Team für einen einzigen Tropfen bereits eine räumliche Auflösung von einer Milliarde Gitterpunkte. Das bedeutet: „Wir können nur Detailprozesse auflösen.“ Bei vielen solchen Vorgängen in Natur und Technik, etwa bei Regen oder in Flugzeugtriebwerken, müsse man für die Anwendung aus den Einzelprozessen erst Modelle ableiten.

„Vor allem die Spritzgrenze bereitet uns Kopfzerbrechen“, sagt Weigand. Der Grund: Am Oberrand der Wasserwand entstehen wellige Strukturen, die sich dann in einzelne Tröpfchen zerteilen – eine Instabilität. Denn sobald sich die Tropfen ablösen, hängen sie an einer äußerst dünnen Schicht, die nur aus wenigen Molekülen besteht. „Dort versagt unsere Theorie“, sagt der Thermodynamikexperte. Das macht eine mathematische Sonderbehandlung erforderlich.

Die Brücke zur Nanowelt

Steffen Hardt sieht das genauso. An der Theorie sei noch viel zu tun, meint der Physiker am Fachgebiet Nano- und Mikrofluidik der Technischen Universität Darmstadt. Die Kunst sei es, die Brücke zu schlagen von großen Flüssigkeitstropfen zu Gebilden, die so winzig sind, dass es notwendig wird, einzelne Moleküle auf der Nanometerskala zu betrachten. Es ist eine gigantische numerische Aufgabe, etwa die Vorgänge in Wasser zu berechnen – nicht als Flüssigkeit an sich, sondern als eine Ansammlung einzelner Moleküle. Um praxisrelevante Resultate zu erhalten, müsste man Systeme simulieren, die etwa 100 Mal so groß sind wie das, was selbst die besten Supercomputer leisten können – vielleicht mit bis zu einer Milliarde Wassermolekülen. Gesucht seien Näherungen und Modelle, die viel weniger Rechenaufwand benötigen, sagt Hardt.

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