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#Die Phantome der Mrs. Pretty

Die Phantome der Mrs. Pretty

Der Schatzfund von Sutton Hoo ist eine Wegmarke in der Geschichte der Archäologie. Im Sommer 1939 wurde in dem kleinen Ort nahe der Küste von Suffolk ein Bootsgrab aus dem frühen siebten Jahrhundert nach Christus freigelegt, das fränkische und byzantinische Münzen, römische Silberteller, Goldfibeln und Fragmente eines bronzenen Prunkhelms aus einheimischer Herstellung enthielt. Die Ausgrabung bewies, dass die angelsächsischen Kleinkönige Britanniens – in diesem Fall war es Rædwald von East Anglia, der von 616 bis 627 regierte – einen Lebensstandard genossen, der dem anderer frühmittelalterlicher Königshöfe in Westeuropa nicht nachstand, und an Handelsrouten angeschlossen waren, die bis in den östlichen Mittelmeerraum reichten. Heute gehören die Objekte zu den großen kulturgeschichtlichen Attraktionen im British Museum.

Andreas  Kilb

Aber eigentlich geht es in Simon Stones „Die Ausgrabung“ gar nicht um die Schätze von Sutton Hoo – auch wenn man anfangs sieht, wie die Witwe Edith Pretty (Carey Mulligan) den Ausgräber Basil Brown (Ralph Fiennes) engagiert, damit er für zwei Pfund die Woche jenen größten von fünf grasbewachsenen Hügeln auf ihrem Grundstück untersucht, bei dem sie, „so ein Gefühl“ hat. Dies ist ein Spiel- und kein Dokumentarfilm, und deshalb dreht sich die Geschichte mehr um Mrs. Prettys Witwengefühle als um den Hügel, der sie auslöst, und mehr um Basil Browns von Pfeifenrauch umwölkten Charakterkopf als um den nachrömerzeitlichen Schiffsnagel, den er eines Tages unter mehreren Schichten ostenglischer Erde entdeckt.

Dass es trotzdem nichts wird mit der Romanze, die sich in den ersten Blickwechseln zwischen Mr. Brown und Mrs. Pretty zaghaft ankündigt, liegt nicht an Carey Mulligan und Ralph Fiennes, die auf der Klaviatur ihres darstellerischen Könnens jede Variante möglicher Gefühlsverwicklung mühelos durchzuspielen imstande wären, sondern am Stoff. Denn so forsch der Film mit dem zeitlichen Rahmen seiner Handlung hantiert – die Entdeckung des Bootsgrabs hatte mehrere Monate Vorlaufzeit, die hier auf Tage zusammenschnurren –, so vorsichtig ist er bei der Fiktionalisierung seiner Figuren. Der reale Basil Brown hatte eine Ehefrau, und die reale Edith Pretty laborierte an einem Herzleiden, an dem sie zwei Jahre später starb. So zeigt es auch Simon Stone, weshalb es bei gegenseitigem Respekt zwischen den Protagonisten bleibt, was der Wahrheitsfindung dienlich, der narrativen Zuspitzung aber eher abträglich ist.

Statt nach seiner Gattin dreht sich Stuart nach anderen Männern um

Für den Film bedeutet das, dass er nach einer knappen Stunde im Grunde vorbei ist. Den Rest der Zeit, die zu einer Spielfilmlänge fehlt, könnte er mit der Darstellung der Querelen füllen, die sich nach dem Bekanntwerden des Fundes zwischen Brown und den Experten vom British Museum abspielten, mit der Geschichte der Bergung und Einlagerung der Schätze im Zweiten Weltkrieg und ihrer spektakulären Präsentation in den fünfziger Jahren. Weil darin aber ein Eingeständnis von Hilflosigkeit läge, haben Simon Stone und seine Drehbuchautorin Moira Buffini eine Art dramaturgischen Bypass in die Story eingefügt.

Mit dem Archäologen Stuart Piggott (Ben Chaplin) nämlich, der die aus London angereisten Museumsleute berät, ist auch seine Frau Peggy (Lily James) an den Fundort gekommen, und die Kamera muss nicht zweimal hinschauen, damit wir begreifen, dass diese Ehe nicht funktioniert. Statt nach seiner Gattin dreht sich Stuart nach anderen Männern um, weshalb Peggy es ihm bald nachtut und in dem blonden Neffen der siechen Mrs. Pretty ein entgegenkommendes Liebesobjekt findet. In Wahrheit zerbrach die Ehe der Piggots erst 1954, doch das hindert den Regisseur nicht, einen Memento-Mori-Dialog der Liebenden am offenen Bootsgrab zu inszenieren, bei dem wir erfahren, dass von uns allen in tausend Jahren die Uhren, etwas Zahngold und Kleingeld übrig bleiben, wenn wir das Glück haben, wie ein König der Angelsachsen in vollständiger Montur begraben zu werden.

„Die Ausgrabung“, mit anderen Worten, ist einer jener Filme, die in den achtziger und neunziger Jahren von James Ivory gedreht wurden und damals als zweidimensionale Inkarnation von Britishness galten. Nur stammten Ivorys Vorlagen von den besten Autoren der angelsächsischen Moderne – Henry James, E.M. Forster –, während Simon Stone sich auf einen Recherche-Roman des Journalisten John Preston (eines Neffen von Peggy Piggott) stützen musste. Dass ihr Vehikel nur eine alte Schubkarre ist, muss Stone und seinem Kameramann Mike Eley frühzeitig klargeworden sein, denn sie geben sich alle Mühe, ihr Sutton-Hoo-Tableau durch dramatische Toneffekte, schwelgerische Küstenpanoramen und reichlich Klaviergeklimper im Fluss zu halten. Aber es hilft nichts, „Die Ausgrabung“ fließt einfach nicht. Zum Trost gibt es englisches Landleben, einen Schwarm Jagdflugzeuge als Zeichen der drohenden Kriegsgefahr und ein paar kostbare Augenblicke mit Carey Mulligan und Ralph Fiennes. Der Rest liegt im British Museum in den Vitrinen.

Von diesem Freitag an auf Netflix.

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