Wissenschaft

#Die Rakete, die keine war… – Hinterm Mond gleich links

Die Rakete, die keine war… – Hinterm Mond gleich links

…oder wenn einige “Journalisten” sich irgendwas ausdenken, weil echte Antworten länger dauern als ihren Assoziationen freien Lauf zu lassen.

Vor ein paar Wochen muss es wohl eine gewisse Aufregung, um etwas gegeben haben, das auf den ersten Blick wie ein Raketenstart aussah. Der echte Wahnsinn brach allerdings in einigen amerikanischen Fernsehanstalten aus.

Hehe, Jon Stewart hat es schon schön auseinander genommen, aber lasst mich mal das Ganze wissenschaftlich unterfüttern.

So sieht ein echter Raketenstart aus. Beachtet vor allem die Geschwindigkeits- und Höhenangaben und wann ein Kondensstreifen zu sehen ist und wann nicht.

30 Sekunden nach dem Start hat die Rakete eine Geschwindigkeit von 500 Meilen/Stunde oder 800 km/h.
Nach 55 Sekunden eine Geschwindigkeit von 900 Meilen/Stunde oder 1440 km/h.
Nach 1:30 eine Geschwindigkeit von 2000 Meilen/Stunde oder 3200 km/h.

Einer der Gründe, warum Raketen als Waffe so gefürchtet sind, ist, dass sie so verdammt schnell sind. Wenn die Viecher wirklich so leicht nachzuverfolgen wären, dass da ein Helikopter-Pilot mit seiner Kamera 10 Minuten gemütlich nachhalten kann…Was würde denn bitte einen Kampfpiloten davon abhalten, das Ding abzuschießen? Schon die relativ einfache V2-Rakete erreichte Spitzengeschwindigkeiten von 5500 km/h, eine mittlere Geschwindigkeit von 3600 km/h und brauchte lediglich 5 Minuten um ein Ziel in 300 km Entfernung zu erreichen. Wenn die Phantasie-Rakete senkrecht nach oben zischen würde, wie es in den Fernsehbildern aussah, wäre das Ding nach wenigen Minuten so weit oben in der Atmosphäre, dass sich gar kein Kondensstreifen mehr bilden könnte.

Das sieht mensch auch im zweiten Video beim echten Raketenstart. Spätestens ab Minute 3:54 ist kein Kondensstreifen mehr zu sehen. Weil die Rakete sich in einer Höhe von 34 Meilen bzw. 55 km befindet. Da ist es paradoxerweise schon wieder zu warm, als dass sich die Eiskristalle bilden könnten, welche die Bildung von Kondensstreifen erst ermöglichen. Die entstehen nämlich bei einer Temperatur von unter – 40 Grad Celsius. Die richtigen Bedingungen für einen Kondensstreifen treten daher nur in einem relativ dünnen Bereich der Atmosphäre zwischen 10 und 30 km Höhe auf (1). Darunter und darüber ist die Luft zu warm – und ab einer gewissen Höhe auch einfach viel zu dünn.

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Bild (Scott A. Mandia): Vertikales Temperatur-Profil der Erdatmosphäre mit der deutlich sichtbaren Temperatur-Inversion. D.h. ab 20 km Höhe wird’s schon wieder wärmer. Ist schon verrückt, diese seltsame Natur ?

Das fragliche Objekt aus dem ersten Video kann sich demnach in den 10 Minuten höchstens in einer Flughöhe zwischen 10 und 30 km bewegt haben. Was schon an sich eine sehr seltsame Höhe für Raketen wäre. Die V2 flog auf 80 km Höhe. Andere ballistische Raketen fliegen noch weitaus höher. Desweiteren…hätte es sich bei dem Objekt wirklich um eine Rakete gehandelt und wenn ich deren Geschwindigkeit relativ langsam mit 3600 km/h annehme, hätte diese angeblich “Rakete” schon annähernd horizontal fliegen müssen und wäre daher mindestens 600 km weit geflogen.

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600 km Radius um San Francisco. Das ist schon ne ganz schöne Strecke. Ein bisschen fehlt zwar noch für *fucking Hawaii* – wie es Jon Stewart so schön ausdrückte – aber ich hab ja auch eine relativ langsame Geschwindigkeit genommen.

Je mehr ich darüber nachdenke, desto bekloppter wird die Geschichte. Was soll das denn für ein super-geheimes Raketenexperiment sein, das sich über mehrere hundert Kilometer mit einem weithin sichtbaren Kondensstreifen verrät? Vor allem wenn das Ding lediglich ein bisschen höher fliegen müsste, um es für den unbedarften Beobachter unsichtbar zu machen.

Wenn ich dagegen ein Flugzeug mit ner ganz normalen Flughöhe von 11 km annehme, das von einem Beobachter aus gesehen jenseits des Horizonts aufstieg (und der Augenzeuge, der das Ganze auslöste, bestätigt auch, dass das Objekt jenseits des Horizontes startete und mensch sieht auch anhand der Beleuchtung des Kondensstreifen das typische rötliche Schimmern der tiefliegenden Sonne, während es am Standort der Kamera sehr hell war) und wenn ich dabei ne halbwegs normale Geschwindigkeit für ein Flugzeug von 900 km/h ansetze, was 4mal so langsam ist wie die hier als pi-mai-Daumen-Abschätzung verwendete V2-Rakete, dann siehst das Ganze schon wesentlich plausibler aus.

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Ein ungünstiger Blickwinkeln + fehlendes Hinterfragen + keine Ahnung, aber freies Assozieren = Rakete, Meteorit, UFO was-auch-immer-einem-einfällt

Dann haben die Heinis, welche aufgrund ihrer unbedarften Rumraterei Panik verbreitet haben, die unglaubliche Chuzpe zu behaupten, dass es die Schuld der Expertinnen und Behörden sei, weil die denen nicht subito presto sagen konnten, was es wirklich ist.

So einen Scheiß find ich persönlich inzwischen extrem gefährlich. Es wird ja ständig diese Kluft zwischen Wissenschaftlerinnen und normalen Menschen beklagt und immer so getan, dass sich die Wissenschaftlerinnen halt mehr anstrengen müssten. Aber mal ehrlich.Bei so einem Mist wie dieser falschen Raketen-Geschichte können wir uns anstrengen soviel wir wollen, wir haben von vornherein verloren.

Schweinegrippe, angebliche Schwarze Löcher am CERN, die böse Gentechnik, die bösen forschenden Pharmazeuten und Mediziner, die angeblich vertuschte Wahrheit über “Handystrahlen”…irgendwo wird immer gerade irgendein Mist ausgeworfen, auf den dann eine Expertin aber subito presto die perfekte Erwiderung zur Hand haben muss, während die gerade noch damit beschäftigt ist, sich zu wundern, wie mensch auf so etwas nur kommen kann und wo sie da überhaupt ansetzen soll. Und selbst wenn sie die perfekte Erwiderung hat, dann wird einfach von der Gegenseite so lange mit Dreck geworfen, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, dass da ja “irgendwas dran sein muss”.

“Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen”, wie ich diesen Spruch inzwischen hasse; diese Bankrott-Erklärung postmoderner Pseudo-Intellektuellen, die entweder zu dumm oder zu faul sind, sich wirklich zu informieren. Und sorry, jeder, der diesen Glückskeks-Spruch aus dem Handbuch “Argumentieren für Dummies” bringt, hat sich als ernstzunehmender Gesprächspartner zumindest in meinen Augen selbst disqualifiziert. So als ob die objektive Realität auf magische Weise näher in Richtung absoluten Blödsinns rückt, nur weil die Vertreter dieser Seite laut genug schreien. Im Grunde genommen steckt hinter solch einem Weltbild die vorsintflutliche Idee, dass jeder Mensch einen direkten Draht zu der “absoluten Wahrheit (TM)” hat, die aus dem Nichts in seinem Gehirn auftaucht und sich gar nicht erst mit kritischen Überlegungen abzugeben braucht. Ist ja auch langweilig, anstrengend und kostet Zeit.

Nun kann aber kein Mensch wirklich alles wissen. Dafür leistet sich unsere Gesellschaft aber Expertinnen, die den ganzen Tag nichts anderes tun, als sich Gedanken über Dinge zu machen, für welche die meisten Leute entweder keine Zeit oder nicht die Begabung haben. Schön, dann sollte mensch diese aber auch anhören. Nicht unkritisch alles schlucken, nein, darum geht es nicht. Es geht um das schlichte Zuhören, was die einem zu sagen haben und die Argumente und Konsequenzen zu prüfen. Mehr verlange ich gar nicht.

Wozu soll sich bitte unsereins vor die Kamera stellen? Um als Sündenbock für alles und jeden herzuhalten? Um als Lügnerin bezichtigt zu werden, bevor wir überhaupt die Chance haben, den Mund aufzumachen? Damit unsere Worte hinterher auf’s Übelste entstellt werden, damit sie in die schön vorgefasste Geschichte passen, welche die Journalistin im Kopf hat? (Letzteres hab ich schon selbst erlebt.)

Das Problem, welche die Rakete-Episode hier verdeutlicht, ist kein reines Medienproblem. Die Medien bringen im Grunde auch nur das, was die Leute erwarten. Es geht inzwischen viel tiefer und begegnet mir inzwischen ständig im Gespräch mit “normalen” Leuten: Dieser Hang zur Verschwörung und die Phantasie unhinterfragt gleichberechtigt neben echtes hart erarbeitetes Wissen zu setzen, alle Expertinnen zu Idiotinnen zu erklären und sich dabei noch ganz toll vorzukommen. Ich hab es mal die “arrogante Ignoranz” genannt. Ich finde, der Ausdruck trifft immer noch.

Ich hab auch keine Ahnung, was mensch dagegen tun kann. Außer vielleicht, wie es Jon Stewart getan hat, sich ausgiebig drüber lustig zu machen.
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(1)
Ich hab jetzt mal von Florian drüben das Bild geklaut, um das zu verdeutlichen:
Earth's Atmosphere Top to Bottom
[Source: Telescopes for Beginners for OurAmazingPlanet.com]

…oder wenn einige “Journalisten” sich irgendwas ausdenken, weil echte Antworten länger dauern als ihren Assoziationen freien Lauf zu lassen. Vor ein paar Wochen muss es wohl eine gewisse Aufregung, um…

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