#Die Stadt, die ein Imperium war
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„Die Stadt, die ein Imperium war“
Für Ravenna war die Weltgeschichte wie eine Achterbahnfahrt. Vom Landstädtchen mit angeschlossenem Flottenstützpunkt zur Kaiserresidenz aufgestiegen, wurde der Ort an der Adriaküste für anderthalb Jahrhunderte zum Zentrum eines Reiches. Danach, mehr als zweihundert Jahre lang, bildete er das Zentrum einer kaiserlichen Provinz. Anschließend, in der Regierungszeit Karls des Großen, verkümmerte er wieder zur Provinzstadt.
Dass er es tausend Jahre lang blieb, bis an die Schwelle zur Industrialisierung, ist für uns ein Geschenk, denn durch seine Lage abseits der großen Heerstraßen und Schlachtfelder – nur einmal, 1512, schlugen sich Spanier und Franzosen vor den Toren – wurde Ravenna zum Freilichtmuseum der Spätantike. Nirgends sonst sind Kirchen und Kapellen, Mosaiken und Sarkophage des zerfallenden römischen Imperiums in so reicher Fülle erhalten wie hier.
Seit der sechsteiligen Monographie von Friedrich Wilhelm Deichmann, deren letzter Band 1989 erschien, wurde im deutschen Sprachraum kein bedeutendes Werk zur Geschichte Ravennas mehr veröffentlicht. Das Buch der britischen Byzantinistin Judith Herrin, das sich auf dieselben Quellen stützt, schließt deshalb zwar keine Forschungs-, wohl aber eine Leselücke.
Zudem besitzt es gegenüber Deichmanns Konvolut den Vorzug der Übersichtlichkeit, auch wenn knapp fünfhundert Textseiten keine Petitesse sind. Dass Herrins historische Erzählung erst im dritten Jahrhundert einsetzt und um das Jahr 800 abbricht, ist ebenfalls kein Schaden, denn viel mehr gibt es über Ravennas Rolle in der europäischen Geschichte nicht zu berichten – wenn man davon absieht, dass Italiens Nationaldichter Dante hier 1321 im Exil starb und auch begraben liegt.
Der Jordan war damals noch ein Flussgott
Ravennas Sternstunde kam, als der achtzehnjährige weströmische Kaiser Honorius seinen Hof aus dem bedrohten Mailand in die Stadt am südlichen Podelta verlegte. Der von Sümpfen umgebene Ort war leichter zu verteidigen und durch seinen Kriegshafen Classe an die internationalen Handels- und Militärrouten angeschlossen. Das galt auch noch neunzig Jahre später, als der Gotenkönig Theoderich dem Heermeister Odoaker die Herrschaft über die inzwischen stark geschrumpfte westliche Reichshälfte entriss.
Während in Rom die letzten Zirkusspiele stattfanden und die Päpste das Apostelgrab pflegten, regierte Theoderich von Ravenna aus mithilfe römischer Bürokraten ein christlich-germanisches Königreich, in dem seine arianischgläubigen Goten gegenüber den katholischen Einheimischen in der Minderheit waren. Um den gotischen Glauben symbolisch aufzuwerten, schmückte er seine Hauptstadt mit neuen Kirchen. Die meisten Bauwerke aus jener Zeit sind verschwunden, aber die Baptisterien der Arianer und der Orthodoxen haben sich erhalten. In beiden wird der Jordan auf dem Deckenmosaik der Taufe Christi noch als Flussgott dargestellt. Es ist das letzte Aufblitzen der heidnischen Vorstellungswelt am Ausgang der Antike.
Judith Herrin: „Ravenna“. Hauptstadt des Imperiums, Schmelztiegel der Kulturen.
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Bild: wbg/Theiss Verlag
Die erste Blütezeit Ravennas endete mit der Einnahme der Stadt durch den byzantinischen Feldherrn Belisar im Jahr 540. Mit den Byzantinern kamen die justinianische Pest und ein verheerender Abnutzungskrieg, von dessen Folgen sich Italien erst im Mittelalter erholte. Mit ihnen beginnt aber auch der spannendste Teil von Herrins Buch. Denn in den dunklen Jahrhunderten, die auf die Vernichtung der Goten, die Invasion der Langobarden und den Zusammenbruch der römischen Infrastruktur folgten, bildete Ravenna eine Insel des antiken Wissens in einem Ozean der Schriftlosigkeit und entgrenzten Gewalt. Während der größte Teil Italiens unter langobardische Herrschaft kam, blieb ein schmaler Streifen zwischen Neapel und der Adriaküste unter oströmischer Kontrolle. Der Exarch, der diese Provinz im Auftrag Konstantinopels regierte, schützte von seiner Residenz in Ravenna aus das geistliche Zentrum Rom.
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