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#Die Straße zurückerobern

Die Straße zurückerobern

Vor einigen Tage erhielt die ehemalige Elevin einer renommierten privaten Mädchenschule eine Mitteilung über Vorwürfe gegen einen Lehrer im Zusammenhang mit unangemessenen sexuellen Beziehungen und Drogenkonsum mit Schülerinnen. Die über einen Gruppenchat verbreitete Meldung forderte alle mit Kenntnis oder Erfahrung über diese Beschuldigungen auf, sich bei der für den Schülerschutz zuständigen Lehrerin zu melden, „um gegenwärtige und künftige Schüler zu schützen“. Die Empfängerin des Rundschreibens und ihre Freundinnen, die inzwischen fast Mitte zwanzig sind, waren nicht überrascht. Schon zu ihrer Schulzeit stand dieser Lehrer in Verruf. Bei ihrer Abschiedsfeier hatten sich die Mädchen sogar mit einer Lehrerin darüber unterhalten. Diese schüttelte nur mit dem Kopf und sagte, die Kollegen hätten ihn alle gewarnt. Die Schule aber hat weggeschaut.

Gina Thomas

Gina Thomas

Feuilletonkorrespondentin mit Sitz in London.

Es ist kein Zufall, dass die Aufforderung jetzt in Umlauf gebracht worden ist. Im vergangenen Sommer hat die 22 Jahre alte Some Sara, die als Teenager von Jungen ausgelacht, gedemütigt und sexuell missbraucht wurde, eine Plattform eingerichtet mit dem Ziel, der stillschweigend tolerierten „Vergewaltigungskultur“ ein Ende zu setzen. Some Sara forderte auf der Website „Everyone’s Invited“ dazu auf, anonym Zeugnis abzulegen über Erfahrungen wie ihre. Tausende meldeten sich mit verstörenden Geschichten, die sie oft jahrelang für sich behalten hatten. Da werden Initiationsriten von Mädchen geschildert, die strippen müssen, wenn sie in die Oberstufe einer Jungenschule eintreten, und es wird von Wettbewerben berichtet, bei denen Jungen sich gegenseitig herausfordern, mit dem angeblich hässlichsten Mädchen zu schlafen. Da ist von Punktesystemen für die Bewertung sexueller Leistung und von Prämien für die höchste Zahl sexueller Trophäen die Rede. Selbst eine Neunjährige wurde gezwungen, Nacktfotos zu schicken. Diese Bräuche sind derart verbreitet in Großbritannien, dass viele glaubten, sie seien „normal“. Das Ausmaß ist erschütternd.

Forderungen nach einer Ausgangssperre für Männer

In den vergangenen Wochen ist aus dem anfänglichen Strom eine Flut geworden. Dazu geben zwei Umstände Anlass, die ebenso viel über den Zeitgeist aussagen wie über das englische Klassenbewusstsein. Da ist zum einen der Mord an der 33 Jahre alten Sarah Everard, die Anfang März abends um halb zehn auf dem Heimweg verschwand und eine Woche später tot aufgefunden wurde. Der Fall traf einen Nerv und führte zu heftigen Reaktionen, zumal der ihres Mordes beschuldigte Mann ein Polizist ist. Es ging der Ruf aus, die Straßen für Frauen zurückzuerobern und Misogynie zu beenden. Einige forderten sogar eine Ausgangssperre für Männer. Der Fall um Sarah Everard wurde als Symbol männlicher Gewalt gegen Frauen politisch instrumentalisiert, so dass Freunde der Ermordeten von der Kerzenmahnwache fernblieben. Das ungeschickte Verhalten der Polizei, die in der misslichen Lage war, dafür zu sorgen, dass die Corona-Maßnahmen beachtet wurden, zog neue Vorwürfe des Sexismus und toxischer Männlichkeit nach sich.

Die große Aufmerksamkeit für die Initiative von Some Sara verdankt sich jedoch auch dem Umstand, dass auf der Website neuerdings auch die Schulen genannt werden, deren ehemalige oder gegenwärtige Schüler über die Kultur sexueller Schikane und Übergriffe berichten. Dass sich unter den dort aufgeführten Schulen mehrere namhafte Privatschulen befinden, schlachten die britischen Medien aus, um Vorurteile gegen eine privilegierte Elite zu nähren. Dabei stellt sich leider heraus, dass das durch die Technologie und die sozialen Netzwerke verschärfte sexuelle Mobben unter Gleichaltrigen ebenso wie die Übergriffe von Erwachsenen auf Schüler keineswegs auf den privaten Sektor beschränkt ist.

Es ist bedauerlich, dass die Initiative von Some Sara womöglich weniger hohe Wellen geschlagen hätte, wenn diese Zustände vor allem im staatlichen Sektor herrschen würden. Ein führender Polizist sprach jetzt von einem nationalen Skandal, der einen neuen „MeToo Moment“ im Bildungswesen darstelle. Der konservative Vorsitzende des parlamentarischen Bildungsausschusses fühlte sich an William Goldings „Herr der Fliegen“ erinnert, obgleich in dem Roman über das brutale Benehmen von Kindern, wenn zivilisierende Regeln nicht mehr gelten, keine Mädchen vorkommen.

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