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#Die Taliban im Kreml

„Die Taliban im Kreml“

Zu den prominenten Figuren des russischen Kulturlebens, die infolge des Ukrainekriegs Moskau verlassen haben, gehört auch der ukrainische Foto- und Installationskünstler Sergej Bratkow. Der durch seine dokumentarisch-verrätselte Bildsprache zum Klassiker der Charkiwer Schule avancierte Bratkow war um die Jahrtausendwende nach Moskau gegangen, wo er bis zuletzt an der Rodtschenko-Hochschule für Fotografie und Medienkunst unterrichtete. Privatkunden und das Moskauer Multimedia-Kunstmuseum sammelten seine Arbeiten, doch sein Dozentenstatus war prekär. An der Rodtschenko-Schule war statt seiner formell ein russischer Strohmann angestellt, an den sein Gehalt überwiesen wurde, das er an ihn weiterleitete, erzählt Bratkow der F.A.Z. in einem Café in Frankfurt am Main, wo er eine Bleibe fand – wie auch zwei seiner russischen Studenten, die ihr Land wegen des Krieges verlassen haben.

Sein älterer Bruder lebe noch in Charkiw, außerdem ein Künstlerfreund, der seine Familie nach Polen geschickt habe und selbst als Freiwilliger Medikamente verteile, berichtet der 62 Jahre alte Bratkow. Er habe nicht geglaubt, dass christliche orthodoxe Russen christlich orthodoxe Ukrainer überfallen würden, sagt der Künstler, doch nach dem 24. Februar war es eine Frage der Zeit, wann er Russland verlassen würde. Er habe seine Studenten zum Abschluss führen wollen, so Bratkow. Ihm sei nichts geschehen, wenn man von der Bemerkung eines Beamten bei der Meldebehörde absieht, der seinen ukrainischen Pass mit der Bemerkung quittierte: „Warum beschießt ihr euch?“ – insbesondere zu Beginn des Krieges behaupteten russische Propagandisten, die Ukrainer bombardierten ihre Städte selbst. Sicherheitshalber habe er Anrufe von unbekannten Telefonnummern nicht beantwortet und seine Wohnungstür nicht geöffnet. Der Künstler gibt dem Westen und dessen liberaler Utopie eine Mitschuld am Kriegsausbruch. Insbesondere Deutschlands postheroisches Selbstverständnis und seine heruntergefahrene Wehrfähigkeit habe bei Putin Verachtung ausgelöst und seinen militärischen Vorstoß geradezu provoziert.

Uraufführung mit Sirenenklängen

In Moskau habe er eine praktisch tote Kulturlandschaft zurückgelassen, sagt Bratkow. Das Ausstellungslokal seines Galeristen Vladimir Ovcharenko ist ge­schlossen. Das wichtigste Museum für Zeitgenössisches, die Garage, stellte kurz nach Kriegsausbruch den Ausstellungsbetrieb ein, im neuen Kulturzentrum GES-2 brach der Künstler Ragnar Kjartansson die von ihm kuratierten Projekte ab. Umso eindrucksvoller zwei musikalische Uraufführungen, die dort jüngst bei einem auf der Webseite nachhörbaren Konzert im Rahmen des Projekts „Stimmungen“ erklangen: Das Ensemblestück „Alles wird still“ von Anton Swetlitsch­nyj, der in Rostow ganz nahe dem Kriegsgeschehen wohnt, versetzt mit Flugzeug- und Sirenenklängen in die Lage bombardierter ukrainischer Städte, während die „Unterwassermusik“ des heute in Berlin lebenden Boris Filanowski durch verwoben-zerfallende Instrumentalparts Atomisierung hörbar macht.

Führerbildnis: Tschetschenienchef Ramsan Kadyrow vor einem Porträt seines Vaters Achmat Kadyrow von Alexej Beljajew-Gintowt.


Führerbildnis: Tschetschenienchef Ramsan Kadyrow vor einem Porträt seines Vaters Achmat Kadyrow von Alexej Beljajew-Gintowt.
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Bild: AFP

Wir fragen in Moskau beim Kurator für moderne Kunst Andrej Jerofejew nach, einem bekennendem Oppositionellen. Die Kulturszene habe sich praktisch geschlossen gegen Putin und Ukrainekrieg gestellt, sagt Jerofejew, der Bruder des nach Deutschland ausgereisten Schriftstellers Viktor Jerofejew, am Telefon. Unter Künstlern gebe es nur einzelne Ausnahmen wie Alexej Beljajew-Gintowt, der wegen seiner offen eurasisch-faschistischen Bilder eher selten ausgestellt (aber umso eifriger gesammelt) wird, den für seine maskenhaften Porträts bekannten Fotokünstler Oleg Dou oder den Petersburger Putinisten Sergej Bugajew alias Afrika. Erst am 13. Juli wollte das Museum für Zeitgenössisches am Gogol-Boulevard unter dem Titel „Feinsinnige Bürger“ (Tonkije graschdane) eine Schau mit Arbeiten von Kunststudenten zum Thema Empathie eröffnen. Doch etliche Teilnehmer hängten statt Bildern Tafeln auf, die besagten, der Künstler habe sich verweigert, er oder sie könne sich nicht beteiligen, dürfe sogar den Grund dafür nicht nennen – eine Anspielung auf das in Russland geltende Verbot, den Ukrainekrieg „Krieg“ zu nennen. Daraufhin sagte das Museum die Ausstellung ab, mit der Begründung, in die Schau seien Inhalte mit politischem Subtext eingeschleust worden, die mit dem Status des Hauses als staatlicher Institution unvereinbar seien.

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