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#Die Tugend der Füchsin

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Die Tugend der Füchsin

Man kann Gedichte durchaus unter Aussparung ihrer formalen Besonder- und Schönheiten nacherzählen, rein stoffbefangen; dann fehlt dem Witz halt die Pointe. Die allerbesten Witze halten das erstaunlicherweise aus, sie sind dann bloß lehrreich statt lustbringend. In Louise Glücks Gedicht „The Mountain“ erzählt lyrische Lebensklugheit irgendwelchen nicht näher bestimmten gelehrigen Ohren davon, dass das Leben der Kunst ein Leben endlos schwerer Arbeit sei. Als das die Horchenden nicht beeindruckt, wird es mit der Legende von Sisyphos illustriert. Denselben Stein immer wieder bergaufwärts zu schieben bringe durchaus Freude mit sich, eine besondere Sorte, man sei ganz bei sich und könne so etwa einem ominösen „Urteil“ einer anderen Instanz entgehen. Von ihrer eigenen kräftezehrenden Mühe mit dem ganz persönlichen Felsbrocken spricht die lyrische Stimme dann auch, etwas beiseite, und zur Bezeichnung der individuellen Art, wie sie sich da die steile Steigung empormüht, benutzt Louise Glück ein merkwürdiges Adverb: „slyly“. Nicht Verausgabung von Energie ist also der Punkt am Werk, sondern Schlauheit, die Tugend des Fuchses Reineke, der den königlichen Löwen anlügt und damit „der Verurteilung“ entgeht, eluding judgment. Schlaue Arbeit ist nichts, was Hände schwielig macht, aber sie hinterlässt Spuren in der Landschaft, sogar auf deren höchstem Niveau, auf den Gipfeln – das Gedicht endet so: „Both my hands are free. And the rock has added / height to the mountain.“

Dietmar Dath

Die 1943 in New York geborene Amerikanerin Louise Glück erhält den Nobelpreis für Literatur des Jahres 2020. Erwartbare zänkische Rangbestimmungsbeißerei unter Leuten, die für moderne Lyrik in englischer Sprache brennen, fing zehn Minuten nach der Meldung aus Stockholm in Lesekreisen off- und online sofort an, wertlose Fragen zu stellen wie: „Wenn die größten Modernistinnen der angloamerikanischen Lyrik, Frauen wie Gertrude Stein, Hilda Doolittle oder Elizabeth Bishop, den Preis nicht gekriegt haben, wie kann man ihn dann einer Epigonin geben, die nur weiß, wie man den Brocken auf den Berg kriegt, weil andere ihr das vorgemacht haben?“

Eine entschieden weibliche Stimme?

Das Versäumnis gegenüber Großen kann indes die Genugtuung über die Anerkennung einer nach sämtlichen von ebenjenen Großen aufgerichteten Maßstäben allemal Würdigen logisch nicht trüben; außerdem sind Emily Dickinson und Hildegard von Bingen auch leer ausgegangen, was solls? Glück selbst hat das Kontinuum, in dem sie wirkt, nie verschwiegen; sie weiß, dass sie nicht aus dem Nichts kommt, ihr Debütbändchen, „Firstborn“, das im Zäsurjahr 1968 erschien, widmete sie „my teacher“ – das Wort lässt in ihrer Sprache aparterweise kein Geschlecht erkennen.

Begönnert man die Dichterin mit modischer Gender-Galanterie, wenn man sie als entschieden weibliche Stimme liest? Ein altes, allerlei Gewohnheiten implizites Sozialdekret nicht nur des Abendlandes sieht „die Frau“, weil sie Kinder kriegen kann, während der Mann sich in Werken fortsetzt und verewigt, als Naturwesen. Louise Glück liebt dezente Irreführungen auf diesem Glatteis und spricht daher mit der Natur oft vertraulicher als mit dem lesenden menschlichen Gegenüber. Im Gedicht „Sunset“, das, umgeben von vielfältigen irdisch-kosmischen Übungen mit Titeln, die heraufziehende Stürme, Mittagsstimmungen und Zwielicht versprechen, den Band „A Village Life“ (2009) regiert, erlaubt Glück der Majestät Sonne königlich-geschwisterlich, so von Sprachmacht zu Gestirn, das Untergehen: „So it can set now.“ Im ersten Schnee legt sie ein andermal die ganze Welt schlafen, obwohl diese wie ein quengeliges Kind noch wach bleiben will.

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