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#Die Überlebenden der Sintflut

Die Überlebenden der Sintflut

Ein langes Jahr geht zu Ende, ein Jahr, wie es bislang keines gab in der noch jungen, keine eineinhalb Jahrhunderte umspannenden Geschichte der Kinematographie. Um zwei Drittel sind die Umsätze der Branche allein 2020 durch die Corona-Pandemie eingebrochen, und in der ersten Hälfte dieses Jahres dürfte es noch finsterer ausgesehen haben, zumindest in Europa, wo der Lockdown die Filmindustrie härter und länger getroffen hat als irgendwo sonst.

Aber jetzt wird alles anders. Neue Filme laufen an, die Kinos öffnen wieder, und in Amerika, wo sie nie völlig geschlossen waren, führt die neunte Folge der Actionfilmserie „Fast & Furios“ die Rangliste der Kassenerfolge an. Und in diesem Augenblick des Erwachens, des Aufatmens nach endlosen, erstickendem Stillstand, beginnt das Filmfestival von Cannes.

Genie und Fleiß

Der Zeitpunkt ist ein Glücksfall. Noch nie in den fünfundsiebzig Jahren seines Bestehens hat das Festival im Juli stattgefunden, und im nächsten Frühling wird es, wenn keine Virus-Mutation dazwischenkommt, zu seinem gewohnten Mai-Termin zurückkehren, aber in diesem Sommer hat das Kinofest an der Côte d’Azur die Kraft einer Fanfare. Auch hier läuft, auf einer Open-Air-Leinwand am Strand, das „Fast & Furios“-Spektakel, doch daneben konkurrieren 24 Filme um die Goldene Palme, die alles andere als Hollywood-Serienware sind. Der Wettbewerb von Cannes hat immer mit großen Namen geglänzt, in diesem Jahr glänzt er noch ein wenig heller: Nanni Moretti, François Ozon, Sean Penn, Jacques Audiard, Wes Anderson, Paul Verhoeven, Bruno Dumont, der Iraner Asghar Farhadi und der thailändische Regisseur Apichatpong Weerasethakul zeigen ihre neuen Werke, und selbst in jenen Reihen, die den Überschuss des Hauptprogramms aufnehmen, finden sich Berühmtheiten wie Oliver Stone, Marco Bellocchio (der neben Jodie Foster eine Ehren-Palme empfängt), Charlotte Gainsbourg und Gaspar Noé. Es ist, als wäre Cannes die Arche Noah, auf die sich die Überlebenden der Sintflut gerettet haben, die Unverzichtbaren, aus deren Genie und Fleiß eine neue, verjüngte Kinokultur ersteht.

Wenn sie denn wieder ersteht. Die sechzehn Monate seit dem Beginn der ersten Lockdowns haben ja nicht nur die Verbindung zum Publikum gekappt, sondern auch eine Entwicklung vorangetrieben, die sich schon vorher abzeichnete. Das, was am Kino Industrie ist, seine ökonomische Basis, gerät zunehmend in die Hände der Streamingdienste. Die großen Hollywoodstudios haben darauf reagiert, indem sie eigene Streaming-Plattformen gründeten. Cannes seinerseits sperrt Produktionen aus dem Wettbewerb aus, die keinen französischen Kinostart haben. Was in anderen Ländern passiert, ist dagegen gleichgültig, weshalb etwa „Annette“, der diesjährige Eröffnungsfilm von Leos Carax, in dieser Woche zwar in Frankreich startet, aber in sechs Wochen in Nordamerika von Amazon Prime als Stream herausgebracht wird.

Nur vier Filme von Frauen

Ob er ein einziges großes Regietalent nennen könne, das von den Streaming-Anbietern entdeckt worden sei, fragte Thierry Frémaux, der Künstlerische Leiter von Cannes, bei einer Pressekonferenz am Montag einen Journalisten, der sich nach dem neuesten Stand im Kleinkrieg zwischen Netflix und dem Festival erkundigt hatte. Der Kollege konnte keinen Namen nennen, aber das setzt Frémaux nicht ins Recht. Die Arbeitsteilung zwischen den Festivals und der Industrie hat ja immer so funktioniert, dass erstere die Talente ans Licht holten und letztere sie vermarktete. So dürfte auch Cannes auf lange Sicht zum Zulieferer für das Streaming-Geschäft werden. Jane Campion jedenfalls, die bislang einzige Regisseurin, die je eine Goldene Palme gewann, hat ihren neuen Film für Netflix gedreht.

Es gibt Probleme, die das Festival mit seinen Ansprüchen und Routinen nicht lösen kann. Von den 24 Filmen im Wettbewerb stammen nur vier von Frauen, auch wenn die Jury unter der Leitung des amerikanischen Regisseurs Spike Lee mehrheitlich weiblich ist. Auch der Anteil von Beiträgen aus Afrika, Südamerika und Asien ist vergleichsweise gering, dafür stammt allein ein Viertel der Filme aus Frankreich, ein weiteres Viertel sind französische Koproduktionen. Das hat mit Corona nichts zu tun. Hinter der Auswahl steht der selbstverständliche Stolz des Landes, in dem die bewegten Bilder entstanden, auf seine filmische Elite. Die Streamingdienste mögen den Ausverkauf der Kinematographie vorantreiben, Cannes aber hütet ihre Tradition.

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