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#Die Wirklichkeit des Stilllebens

„Die Wirklichkeit des Stilllebens“

Wo Max Beckmanns Bilder entstanden sind, verrät oft schon die Signatur. Nach 1918, als nicht nur die Welt in Trümmern lag, sondern der Krieg auch den 1884 in Leipzig geborenen Maler traumatisiert hatte, fügte er seinem Namenszug und der Jahreszahl in der Regel ein Städtekürzel hinzu. Womöglich half ihm diese formale Ergänzung dabei, sich in einem wechselvollen, an Zäsuren reichen Leben besser orientieren zu können. Nach Stationen in Berlin, Frankfurt, Paris und Amsterdam gelang ihm 1947 der Sprung nach Amerika.

Seine mit „St. L.“ gezeichneten Werke künden davon, dass er nicht gleich in New York landete, wo er 1950 starb, sondern zunächst in das weniger prominente St. Louis ging. An der Washington University der unscheinbaren, vor allem als Niederlassungsort deutscher Bierbrauer-Familien bekannten Stadt im Bundesstaat Missouri vertrat er Philip Guston zwei Jahre als „Instructor for Drawing and Painting“. Für Beckmann, den die Nationalsozialisten 1933 aus der Frankfurter Städelschule verbannt hatten, endete damit eine lange Unterbrechung seiner Lehrtätigkeit.

Sein Aufenthalt im Mittleren Westen hatte zur Folge, dass das St. Louis Art Museum (SLAM) neben der Münchner Pinakothek der Moderne über die umfangreichste Sammlung seiner Werke verfügt. Damals begegnete er dem Erben eines örtlichen Kaufhauses und Kunstfreund Morton D. May, der sich angesichts von Beckmanns Bildern wie vom Donner gerührt fühlte.

Ob die Person hinter diesem massigen Schädel ihre Hände wirklich in Unschuld wäscht? Max Beckmanns Lithographie „Christus und Pilatus” aus dem Zyklus „Day and Dream“, 1946.


Ob die Person hinter diesem massigen Schädel ihre Hände wirklich in Unschuld wäscht? Max Beckmanns Lithographie „Christus und Pilatus” aus dem Zyklus „Day and Dream“, 1946.
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Bild: Saint Louis Art Museum

Jedenfalls dehnte May nach diesem Damaskus­erlebnis seine vom damaligen Zeitgeschmack für Französisches abgewandten Vorlieben für deutschen Expressionismus und präkolumbische Artefakte auf das Schaffen des Gastes aus und war außerdem vom Ehrgeiz getrieben, das größte Beckmann-Konvolut zusammenzutragen. Mit Erfolg: Aus Mays Nachlass kamen 1983 fünfunddreißig Gemälde an das Museum.

Als Einstieg mussten Beckmanns Studenten ein Stillleben malen

Das auf diese Weise transformierte Profil des Hauses wurde 2002 durch den Erwerb von 350 Beckmann-Grafiken zusätzlich geschärft. Folgerichtig steht der Künstler im Mittelpunkt der gegenwärtigen, von Melissa Venator sorgfältig kuratierten Ausstellung „Day and ­Dream in Modern Germany“. Sie vereint 64 sammlungseigene, zwischen 1914 und 1945 entstandene Arbeiten auf Papier und fragt danach, wie deren Schöpfer mit der Erfahrung des Krieges umgehen. Sehr unterschiedlich, lautet eine der Antworten.

Käthe Kollwitz und George Grosz etwa setzen Armut und Korruption ins Bild, während Otto Müller Akte in unberührter Natur zeigt und damit ein Gegenbild zu den Schrecknissen seiner Zeit entwirft. Schwerer deutbar sind die Symbole und Anspielungen in Beckmanns letzter, kurz vor seinem Sprung über den Atlantik 1946 geschaffenen Mappe „Day and Dream“, die der Schau den Titel leiht. Fünfzehn Lithographien folgen einer Ordnung, ergeben aber keine Erzählung. Indes vereinen die Blätter die für ihn wesentlichen Motive. Man erkennt seine Frau Quappi und ihn selbst, findet Zirkus-Motive, Verweise auf das Wetter, sein Leben in Amsterdam sowie Kriegsallegorien.

Wirkt plastisch wie eine Skulptur: Käthe Kollwitz’ „Beim Dengeln“, Blatt 3 aus dem Zyklus „Bauernkrieg“ von 1905, gedruckt 1908.


Wirkt plastisch wie eine Skulptur: Käthe Kollwitz’ „Beim Dengeln“, Blatt 3 aus dem Zyklus „Bauernkrieg“ von 1905, gedruckt 1908.
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Bild: Saint Louis Art Museum

Nach dem Umzug in die Neue Welt scheinen Beckmanns Motive entspannter und klarer von seiner unmittelbaren Umgebung beeinflusst zu sein als früher. Zu Landschaftsdarstellungen fühlt er sich unter anderem von den Bergen in Boulder, Colorado, in­spiriert, während zahlreiche Bildnisse seine Gönner und Gastgeber verewigen, die den in Amerika schon zuvor bekannten Künstler in St. Louis mit offenen Armen empfangen hatten. Unterdessen machte er es seinen Schülern stets zur ersten Aufgabe, ein Stillleben anzufertigen. Offenbar betrachtete er es als besondere Herausforderung, den traditionellen Rahmen dieser Gattung zu verlassen und damit seinen Anspruch zu erfüllen, die Realität zu zeigen, ohne sie mimetisch abzubilden.

Auch selbst schuf er in St. Louis zuerst ein Stillleben: Im Zentrum des gut ein Meter hohen, in düsteren Farben gemalten Vanitas-Motivs „Still Life with Two Large Candles“ aus dem Jahr 1947 befinden sich eine brennende und eine soeben erloschene Kerze, über der sich Rauch blumenförmig ausbreitet. Links sieht man die Büste einer weiblichen Figur im Profil. Der Hintergrund deutet ein Fenster und einen runden Spiegel an. Mit dieser weit vom Gegenstand entfernten Komposition hat Beckmann nicht zuletzt die Kluft zwischen seiner figurativen Malweise und dem abstrakten Expressionismus geschmälert, der in seinem Gastland gerade angesagt war. Ne­ben zwei weiteren Stillleben aus seiner Zeit in Amerika hängt das Bild in der Galerie „The Modern Still Life“ zwischen den Werken weiterer europäischer Künstler.

Die Ratlosigkeit der Macht: Max Beckmanns Lithographie „König und Demagoge”, 1946.


Die Ratlosigkeit der Macht: Max Beckmanns Lithographie „König und Demagoge”, 1946.
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Bild: Saint Louis Art Museum

Zu den rätselhaften Motiven, an deren Deutung sich die Forschung nach wie vor die Zähne ausbeißt, gehören dagegen die „Fisherwomen“ von 1948 – eine in engem Raum gedrängte Gruppe weiblicher Figuren, die wirken wie eine Mischung aus Amazone und Revue-Girl und Fische in ih­ren Händen halten. Die monumentale Leinwand befindet sich in einem zentralen Saal, in dem Beckmanns gesamte Werkentwicklung lückenlos aufgeblättert wird. Ne­ben ausnahmslos kapitalen Gemälden einschließlich eines Triptychons ist auch eine Plastik zu sehen: der ikonisch massige, von zahllosen Selbstporträts vertraute Schädel des Künstlers in Bronze.

Konsequent führt der chronologische Reigen bis zu seinem letzten, im Todesjahr 1950 entstandenen Selbstporträt. Bei dem frühesten der Dauerausstellungsstücke wiederum handelt es sich um ein altmeisterlich anmutendes Bildnis von Beckmanns erster Frau, das er 1910 als Sechsundzwanzigjähriger gemalt hat. Das Kürzel in der Signatur verrät noch nichts über den Entstehungsort, wohl aber über einen anderen Fixpunkt im Leben des Künstlers. Gezeichnet hat er mit „HBSL“: „Herr Beckmann seiner Liebsten“.

Day and Dream in Modern Germany 1914–1945. Im St. Louis Art Museum; bis zum 26. Februar 2023. Kein Katalog.

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