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#Die wollen nur töten

Die wollen nur töten

„Hetzjagd“ heißt dieser „Tatort“ mit Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter), und sofort steht die beschämende Debatte aus dem Sommer 2018 vor Augen, als tagelang darüber gestritten wurde, ob die in Chemnitz dokumentierten Angriffe von Rechtsextremen auf Migranten, Juden, Gegendemonstranten und Pressevertreter unter diesem Begriff fassbar waren. Als hätte die Antwort darauf einen Erkenntniswert. Tom Bohn (Buch und Regie) kommentiert das gewissermaßen über Bande, denn auch für den heimtückischen Mord an einem Kulturverantwortlichen, der offen „gegen rechts“ eintrat, fiele einem nicht als erstes der Titel-Terminus ein. Das Opfer hatte allerdings wegen rechter Drohungen um Polizeischutz gebeten; der war ihm versagt worden. Alles hat seine Zeit, auch die Semantikfrage, mag der Film uns sagen. Vielleicht deutet man da auch schon zu viel hinein, denn beim Thema Rechtsradikalismus gilt im „Tatort“ offenbar weiterhin: bloß nicht zu subtil.

Es geht schon los mit den Habitaten. In Schnitt-Gegenschnitt sehen wir, wie für den „Revenge 88“-Anhänger Ludger (Daniel Fleischmann) und den linksalternativen Konzertveranstalter Tillmann (Tom Sommerlatte), das spätere Opfer, der Tag beginnt. Der Böse, zu erkennen nicht allein an den Hakenkreuzen auf Laptop und Haut, sondern auch am sinistren Blick, der soeben ausgefertigten Todesdrohung („Heute Zuschlag – Tod den Volksverrätern“), der eingesteckten Knarre und den Worten „Ich werde den so gekonnt wegmachen, dass die völlig im Dunkeln stehen“, haust samt Freundin Hedwig (Anne-Marie Lux) in einer spießigen Finsterwohnung – braune Ledereckgarnitur, gefliester Couchtisch, profilholzvertäfelte Decke –, während der Gute durch seinen sonnendurchfluteten, geschmackvoll eingerichteten Altbau spaziert, seiner Freundin Maria (Anna Herrmann) einen Kuss auf die Stirn drückt und seinen smarten Lautsprecher anweist: „Spiele Indie-Musik.“ Das ist in etwa so, als würde Simon Rattle von einem philharmonischen Orchester „Klassik“ verlangen.

Ausgestattet mit der Aura eines Power-Point-Vortrags

Schlecht ausgedacht wirken bei Bohn nicht nur die Kontrastfiguren. So begleiten die Ermittlerinnen nach dem Mord, begangen im Morgengrauen am Rhein, Tillmanns verzweifelte Freundin („Was macht eigentlich ihr Bullen? Gar nichts!“) zu ihrer Mutter, einer erfolgreichen Marketingexpertin mit der emotionalen Aura eines Power-Point-Vortrags. Zwischen Julia Karich (Valerie Niehaus), laut gerahmtem Aushang Trägerin des „PR Business Award“ , und ihrer Tochter entspinnt sich dann ein restlos unglaubwürdiger Aufsage-Dialog. Wo das Personal so wenig echt wirkt, scheitert jede Identifikation. Das Publikum ist einfach nicht involviert.

Zudem hat ein Krimi – und zumal der „Tatort“ – mit frontaler, geheimnisloser Gewalt ein Problem, weil es da zwar viel zu bewältigen, aber wenig aufzuklären gibt. Das führt regelmäßig zu Plotverknotungen, weil das Offensichtliche doch noch anders motiviert werden soll. Hier fällt dies derart uninspiriert aus, dass man es geheimnislos wohl vorzöge. Ludger, der Wegmacher, behauptet also, das Opfer sei schon tot gewesen. Er will ein „Geistwesen vom Rhein“ gesehen haben, vermutet aber eigentlich eine Falle des Verfassungsschutzes. Der selbstredend überhebliche Verfassungsschützer (Oliver Stritzel) lässt jedoch durchblicken, die Drohungen und Hassmails gegen den Konzertveranstalter stammten „in diesem Fall“ nicht von seinen V-Leuten.

Die Kommissarinnen müssen also gegen die allgemeine Erwartung anermitteln, die der Sänger Clueso in einem wenig bemerkenswerten Miniauftritt benennt: „Wie viele Tote braucht es eigentlich noch, bis ihr aufwacht?“ Der so aufwendig als Neonazi-Tölpel Installierte könnte freilich partiell unschuldig sein. Es riecht nach Angst vor dieser narrativen Courage, dass ihm das Buch schnell einen zweiten, eindeutigen Mord zuschreibt. Zudem soll ein zusammenhangsloser „Bimbo“-Spruch an der Pommesbude wohl unterstreichen, wie weit verbreitet Xenophobie ist. So hat man sich allenfalls vor dreißig Jahren mit Rechtsradikalismus auseinandergesetzt. Vom smarten rechten Diskurs, der die Gewalt längst unterfüttert, ist nichts zu spüren in diesem selten unbeholfenen „Tatort“.

Deshalb stürzt auch die vor drei Jahren breit diskutierte Frage, ob man mit Rechten reden soll, hier auf ein Reflexionsniveau auf Höhe des gefliesten Couchtischs ab: „Vielleicht müssen wir lernen, einander wieder mehr zuzuhören.“ „Einem Nazi mag ich echt nicht zuhören.“ „Ja, klar, aber trotzdem, wenn wir was ändern wollen, müssen wir miteinander reden und dabei klare Kante zeigen.“ Im besten Fall lugt da die alte Pädagogenannahme durch, rechtsradikale Gesinnung sei nur ein Schrei nach Aufmerksamkeit. Gegen die organisierte Systemfeindschaft der „ethnopluralistischen“ Neuen Rechten hilft aber keine Gesprächstherapie. Ein Erzählstrang des Films immerhin hat Potential, obwohl auch darin hemmungslos der Zufall geritten wird: Als Hedwig und Maria aufeinandertreffen, entwickelt sich eine atmosphärische Dynamik zwischen den einsamen Frauen, die anzusehen für manche der stupiden Wendungen entschädigt.

Der Tatort: Hetzjagd läuft am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten.

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